… so beginnt Henrik Ibsens dramatisches
Gedicht Peer Gynt.
Diese Worte möchte man so manches Mal Per
Fink, dem Klinikdirektor der Research
Clinic for Functional Disorders and Psychosomatics in der
Universitätsklinik Aarhus an den Kopf werfen. Zwar teilt der dänische Psychiater
nicht die Schreibweise seines Vornamens mit der literarischen Titelfigur,
jedoch deren ausgeprägten Hang, die Wirklichkeit und Wahrheit seinen Ideal- und
Wunschvorstellungen zu opfern.
Trotz
WHO-Einordnung der Myalgischen Enzephalomyelitis als eine eigenständige nosologische
Entität unter den neurologischen Krankheiten leugnet Per
Fink die eigenständige Krankheitsidentität von ME. Es gebe, so Fink, keine
überzeugende Evidenz, dass „ME/CFS“ ein deutlich unterschiedenes „Syndrom“ sei,
das von anderen ähnlichen Syndromen klar abgrenzbar sei. Die Patienten hätten
vielfache Symptome und viele von ihnen würden somit die Kriterien mehrerer
Syndrome erfüllen. Er sieht ME als eine Spektrumsstörung an.
[Fink, Schröder, 2015]
Fink nimmt
dabei jedoch weder die vorhandenen Krankheitsdefinitionen, wie z.B. die
Kanadischen Konsenskriterien oder die Internationalen Konsenskriterien, zur
Kenntnis, die neben Diagnostikempfehlungen auch das unverwechselbare
Symptommuster beschreiben, noch die sich mehrenden Belege, dass ME inzwischen
immunologisch, neurologisch und kardiovaskulär differentialdiagnostisch zu
anderen Krankheiten abgrenzbar ist. Er ignoriert sogar die gesamte biomedizinische
Forschung zu ME mit ihren über 6000 Publikationen, nimmt in seinen Studien
keinerlei Bezug auf sie und tut einfach so, als sei sie schlichtweg nicht
existent. Man fühlt sich dabei an das Guck-guck-Spiel von Kleinkindern
erinnert, deren Objektpermanenz noch nicht voll ausgebildet ist, weshalb
Objekte außerhalb ihres Blickfelds gewissermaßen nicht existieren. Doch für
jemanden, der für sich in Anspruch nimmt, wissenschaftlich zu arbeiten, ist das
ein geradezu ungeheuerlicher Vorgang.
Darüber
hinaus behauptet Per Fink, die finanzielle Förderung seiner Studien durch z.B.
Versicherungskonzern, Pharmaunternehmen, dänisches Arbeits- oder
Gesundheitsministerium nehme keinen Einfluss auf seine Studien. Dabei ist es
für jedermann offensichtlich, dass hier ein erheblicher Interessenkonflikt
vorliegt. Doch der wird vehement verleugnet. Erst wird sich artig für die
Zuwendung bedankt und im nächsten Satz jegliche Abhängigkeit bestritten. Wäre
Per Fink nicht dank üppiger finanzieller Förderung so wirkmächtig, dass er gesundheitspolitische
Weichen zulasten kranker Menschen stellen darf, und hätte er sich nicht zum
willfährigen Handlanger von Staat, Versicherung und Pharmakonzern gemacht,
würde man diese armselige Erklärung einfach nur lächerlich finden –
Kindergartenniveau! „Hast du von der Schokolade genascht?“ „Nö, das ist bloß
braune Tusche!“
Erst
kürzlich brachten Fink und Kollegen eine Studie heraus, finanziert vom
zweitgrößten skandinavischen Versicherer Tryg
und vom dänischen Arbeitsministerium, die es Patienten mit medizinisch unerklärten Symptomen (MUS), wozu Fink ganz
selbstverständlich organische Krankheiten wie ME und Fibromyalgiesyndrom zählt,
künftig schwerer machen wird, Rentenansprüche durchzusetzen. [Loengaard et al,
2015] Sie warnen davor, dass MUS-Patienten ein erhöhtes Risiko für Langzeitkrankschreibungen,
Arbeitslosigkeit und Erwerbsunfähigkeitsrente haben, „obwohl Arbeitnehmern mit
MUS eine medizinische Diagnose fehlt.“ (Ü.d.A.) Kranken- und Sozialversicherer
werden ermuntert, Arbeitnehmer mit MUS über dieses erhöhte Risiko aufzuklären und
sie in Präventions- oder Reintegrationsprogramme zu stecken.
„Obwohl
Arbeitnehmern mit MUS eine medizinische Diagnose fehlt“ – hoppla! Was wird denn
diesen Arbeitnehmern unterstellt? Etwa Simulantentum? Oder eine psychische
Störung? Und wie soll die Aufklärung seitens der Versicherer aussehen? Etwa
indem man den kranken Menschen mit der Kürzung von Bezügen droht, wenn sie
nicht das Reintegrationsprogramm absolvieren können?
Hier wird
wieder einmal ganz bewusst die Desinformation gestreut, medizinisch
unerklärlichen Symptomen liege keine organische Krankheit zugrunde. Doch
medizinisch unerklärte Symptome sind in aller Regel nur so lange medizinisch
unerklärlich, wie nicht nach ihren Ursachen geforscht wird. Anstatt
Arbeitnehmer mit multiplen Beschwerden gründlich zu untersuchen und angemessen
zu behandeln, sollen sie von desinformierten Ärzten abgewimmelt und sowohl aus
der medizinischen als auch aus der sozialen Versorgung herausgedrängt werden.
Das hat
Methode. Denn es ist billiger, kranke Menschen mit medizinisch unerklärten
Symptomen als Simulanten, Faulpelze, Rentenbetrüger und Sozialschmarotzer zu
diffamieren und in die Armut zu stürzen als Krankheiten zu erforschen, die
möglicherweise menschengemacht sind und, wenn das als Tatsache bestätigt würde, Milliarden an Schadensersatzzahlungen,
Forschungsgeldern und Behandlungskosten verschlingen würden.
So verwundert es nicht, dass Per Fink,
Steigbügelhalter einer solchen Politik, für die nächste Version der
WHO-Krankheitsklassifikationen emsig an einer Umdefinition von
ME und anderen organischen Krankheiten mit angeblich medizinisch unerklärten
Symptomen arbeitet. Er schlägt vor, all diese Krankheiten im ICD-11 zu
subsumieren und als Bodily Distress
Syndrome (BDS) beziehungsweise Bodily
Distress Disorders (BDD) unter der Kategorie „Psychische und Verhaltensstörungen“
zu verankern. Seine „Forschung“ zum BDS und zu MUS lässt Fink sich u.a. vom
zweitgrößten skandinavischen Versicherer Tryg
und vom dänischen Pharmazieunternehmen Lundbeck
sponsern. Kernprodukte von Lundbeck sind – Überraschung! – Antidepressiva. Cipralex/Lexapro
von Lundbeck ist laut Jahresreport 2008 des Konzerns das meistverschriebene
Antidepressivum in Europa und den USA und mehr als 160 Millionen Menschen
weltweit sind bereits damit behandelt worden.
Allein in 2013 erhielten Fink et al. für ihre
Forschung zu den sogenannten Funktionellen
Somatischen Syndromen (ein Synonym für MUS), von der Lundbeck Foundation 11,5 Millionen DKK (umgerechnet ca. 1,5 Millionen Euro). Von TrygFonden bekamen Fink et al. im Jahr 2011
allein 3.155.480 DKK (mehr als 400.000 Euro) und eine weitere Zuwendung von
700.000 DKK (fast 100.000. Euro). Im Jahr 2012 waren es 3.336.458 DKK (ca.
450.000 Euro) und noch einmal 357.000 DKK (fast 50.000 Euro). Im Jahr 2013
sponserte TrygFonden Per Finks Forschungsgruppe mit 2.400.000 DKK
(mehr als 300.000 Euro) und noch einmal mit 968.544 DKK (ca.130.000 Euro). Für
eine dänische Multicenterstudie mit 10.000 Patienten, die an sogenannten funktionellen Störungen leiden,
spendiert der TrygFonden
insgesamt 10 Millionen Dollar (fast 8 Millionen Euro). An dieser Studie ist wieder Per Fink maßgeblich
beteiligt. Bereits 2008 investierte TrygFonden 20
Millionen DKK (annähernd 2,7 Millionen Euro) und 2010 nochmal 28 Millionen DKK (mehr als 3,7 Millionen
Euro) in die Erforschung der funktionellen
Syndrome, an der federführend Per Finks Research Clinic for Functional
Disorders and Psychosomatics in Aarhus beteiligt ist. [Voss,
2015] Die Liste von Zuwendungen ließe sich fortsetzen; doch es dürfte bereits
deutlich geworden sein, dass eine Forschung wie die Per Finks, die finanziell
in so erheblichem Maße vom Sponsoring eines Versicherers und eines
Psychopharmakaherstellers abhängig ist, nicht objektiv und neutral und frei von
Interessenkonflikten sein kann.
Es liegt auf der Hand, dass so mächtige
Sponsoren auf das Ergebnis der Forschungsarbeiten Einfluss nehmen, und wenn
auch nur in der Weise, dass die Geldgeber sich jemanden wie Fink aussuchen, der
ihnen die passenden Forschungsresultate für ihren ökonomischen
Vorteil liefert. Und genau hier unterscheidet sich Per Fink abermals von Peer
Gynt, dem Titelhelden des dramatischen Gedichts. Denn während Peer Gynt, neben Goethes Faust der zweite große Forscher der europäischen Dramatik, auf der
Suche nach seinem Kern, seiner Bestimmung und dem, „was die Welt im Innersten
zusammenhält“, wie es Faust formuliert, bis zum Schluss ein Suchender bleibt,
ist Per Fink ein Findender, bei dem das Ergebnis seiner Suche bereits im
vorhinein feststeht.
Deshalb versinnbildlicht die Zwiebel, die
Peer Gynt in der berühmtesten Szene der norwegischen Dichtung schält, wobei er
zu der verzweifelten Erkenntnis gelangt, ebenso wie die Zwiebel aus lauter
Hüllen zu bestehen und keinen Kern, kein Inneres, keine Substanz zu besitzen,
auch Per Finks Forschung. Finks Forschung besteht nämlich, analysiert man sie
genauer, nur aus lauter Hüllen, die verbergen sollen, dass sie keinen Kern,
keine Substanz, keinen Wahrheitsgehalt besitzt.
Doch leider belässt es Per Fink nicht bei der Absonderung grauer Theorie, die für sich genommen schon zunehmend einschneidende Konsequenzen
für chronisch kranke Menschen hat – und das nicht nur in Dänemark. Um zu „beweisen“,
dass z.B. ME eine mentale Erkrankung und aus diesem Grund eine Umklassifizierung
gerechtfertigt ist und psychiatrische Behandlungsrichtlinien für diese
Krankheit angezeigt sind, schickt er seine Mitarbeiter auf Beutezug durchs
Land, um die Wehrlosesten unter den ME-Patienten für seine psychiatrischen
Experimente einzukassieren.
Prominentes Beispiel ist die junge,
schwerkranke ME-Patientin Karina Hansen, die im November ihren dritten
Geburtstag in Folge in psychiatrischer Gefangenschaft verbringen muss. Wie es
dazu kam und wie sich Karinas Zustand in den letzten zweieinhalb Jahren unter
dem psychiatrischen Behandlungsregime dramatisch verschlechtert hat, dazu mehr im nächsten Blogeintrag.
Quellen:
Per Fink, Andreas Schröder: Brief an den Herausgeber zum
IOM-Report Redefining Myalgic
Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome, JAMA, July 7, 2015, Volume 314,
Number 1, S. 85
Katja
Loengaard, Jakob Bue Bjorner, Per Klausen Fink, Hermann Burr and Reiner
Rugulies: Medically unexplained symptoms
and the risk of loss of labor market participation – prospective study in the
Danish population, BMC Public Health 2015, 15:844
doi:10.1186/s12889-015-2177-4
Katharina Voss: ME – Myalgische Enzephalomyelitis vs. Chronic Fatigue Syndrom: Fakten Hintergründe Forschung, Monsenstein & Vannerdat 2015, S. 279, zit. n. „Lundbeck Foundation – 2013 Annual Report“ http://issuu.com/lundbeckfonden/docs/lf2013uk-report?e=2685121/7552383#search (Abruf 16.01.15) und Trygfonden http://www.trygfonden.dk/ (Abruf 16.01.15)
Bildnachweise:
Georgios Jakobides Kou-Kou, www.commons.wikimedia.org
Quentin Massys, Der Geldwechsler und seine Frau, Detail, www.commons.wikimedia.org
Giuseppe Arcimboldo, Der Gemüsehändler, www.commons.wikimedia.org
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Quentin Massys, Der Geldwechsler und seine Frau, Detail, www.commons.wikimedia.org
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Katharina
Voss, Copyright 2015