Die schwerkranke dänische ME-Patientin Karina Hansen ist wieder zu Hause bei ihren Eltern in Holstebro! Nach mehr als dreieinhalb Jahren, genauer 44 Monaten, hat ihre zwangspsychiatrische Geiselhaft nun ein Ende gefunden.
Hansens Zustand hatte sich in letzter Zeit leicht verbessert. Die Eltern durften sie seit ein paar Wochen in der Einrichtung für Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung, wohin man ihre Tochter vor etwa zwei Jahren abgeschoben hatte, einmal wöchentlich besuchen. Zuvor war die schwerkranke ME-Patientin im Hammel Neurocenter mehr als eineinhalb Jahre lang mit Graded Exercise Therapie, Reizexposition, Kognitiver Verhaltenstherapie und psychotropen Substanzen traktiert worden.
Dass Karina Hansen nach Hause zurückkehren konnte, ist einer neuen Ergänzung des Vormundschaftsgesetzes zu verdanken, die die dänische Bürgerrechtsbewegung (Borgerætsbevegelsen) ausfindig gemacht hatte. Danach darf Karina Entscheidungen für sich selbst treffen, insbesondere auch was ihren Aufenthaltsort angeht.
Vertreter von Karinas Familie und die Verantwortlichen vom Hammel Neurocenter, dessen Stab auch die Patienten der Einrichtung für Hirngeschädigte betreut, vereinbarten schließlich eine einwöchige Probezeit für Karinas Rückkehr in ihr Elternhaus. Obwohl Karina noch nicht wieder sprechen kann, war sie in der Lage, eine Einverständniserklärung zu unterzeichnen und auch gestisch ihr Einverständnis zu kommunizieren. Am Ende der Probewoche äußerte Karina den Wunsch, zuhause bleiben und nicht mehr in die Klinik zurückkehren zu wollen. Dieser Wunsch wurde von der Klinikleitung respektiert und von einem Teil des Personals sogar freudig begrüßt.
Ob der für ihre Behandlung verantwortliche Psychiater Nils Balle Christensen von der Research Clinic for Functional Disorders in Aarhus und ihr Vormund Kaj Stendorf, der inzwischen pensionierte Polizeibeamte, der die gewaltsame Herausnahme aus ihrem Elternhaus durchgeführt hatte, Karinas Aufenthaltsbestimmungsrecht und ihr Recht auf freie Wahl der Behandlung akzeptieren werden, ist bislang unklar.
Es bleibt nun vor allem zu hoffen, dass die junge Frau sich von dem schädlichen Behandlungsregime, den traumatisierenden Ereignissen und traumatischen Erfahrungen der letzten Jahre bald erholen wird. Das gilt auch für die Familie, der jahrelang der Umgang mit Karina verweigert wurde, und die so eine quälend lange Zeit um deren Wohlergehen und Leben fürchten musste.
An diesem Fall wurde wieder einmal mehr als deutlich, dass die Befürworter von verhaltenstherapeutischen und psychiatrischen Behandlungen für ME-Kranke falsch liegen. Die für Karina Hansens Freiheitsberaubung und Fehlbehandlung Verantwortlichen, der dänische Psychiater Per Fink und sein Adlatus Niels Balle Christensen, und ebenso der von ihnen später hinzugezogene britische Berater Peter White, Studienleiter der PACE Trial, sind auf ganzer Linie gescheitert. Nicht nur, weil sie Karina Hansen am Ende wieder ziehen lassen mussten, sondern auch, weil ihre Patientin nach den schädlichen Behandlungen in einem sehr viel schlechteren Zustand ist als vor ihrer Zwangseinweisung.
Auch in Deutschland wurden schon viele Menschen mit ME unter Androhung von Entziehung der Existenzgrundlage zu verhaltenstherapeutischen und psychiatrischen Behandlungen genötigt oder sogar zwangspsychiatrisiert, darunter auch die schwerstkranke minderjährige „Joanne“. Das junge Mädchen wurde fast 20 Monate lang einem Behandlungsregime ausgesetzt, das nur als äußerst grausam bezeichnet werden kann. Erst eine Gerichtsentscheidung brachte die Wende in diesem Fall und der Mutter das Sorgerecht zurück. Wieder zu Hause erholte sich „Joanne“ ein wenig von ihrem Klinikaufenthalt und hat inzwischen schon einige gesundheitliche Fortschritte gemacht. [Siehe The ME Global Chronicle, z.B. Januar 2014; März 2014; April 2014; Juni 2014; August 2014; Oktober 2014; Dezember 2014; April 2015; Juni 2015; August 2015]
Der Fall „Joanne“ und der Fall Hansen sollten allen Wessely School-Adepten, zu denen z.B. auch die deutschen DEGAM-Autoren gehören, zur Warnung gereichen. Die widerrechtliche Psychopathologisierung organischer Krankheiten, die dazu führt, dass den Patienten kontraindizierte Behandlungen verordnet werden, richtet weltweit großes Unheil an – Unheil, das heutzutage nicht mehr einfach unter den Teppich gekehrt werden kann, weil solche Machenschaften im Zeitalter der Vernetzung ans Licht kommen und öffentlich werden.
Alle Versuche von einzelnen Psychiatern oder auch medizinischen Fachgesellschaften, Neudefinitionen für diese Krankheit zu etablieren, die gegen die WHO-Richtlinien verstoßen, werden in Zukunft zum Scheitern verurteilt sein. Denn die internationale Gemeinde ME-Betroffener wird ein wachsames Auge auf all jene Fälle haben, wo ME-kranke Menschen Opfer von Falschbehandlung und Zwangsmaßnahmen werden.
Wenn man von diesen Fallen hört oder liest, beginnt man sich wie Ingeborg Bachmann in ihrem eindrücklichen Romanfragment Der Fall Franza zu fragen, ob „die Sadisten nicht nur auf psychiatrischen Abteilungen und in den Gerichtssälen zu finden sind, sondern unter uns sind, mit blütenweißen Hemden und Professorentitel, mit den Folterwerkzeugen der Intelligenz“. [1]
Was diese ME-Kranken, oftmals schwerkranke Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene wie Karina Hansen, an Misshandlungen durch Ärzte und Psychiater erfahren haben, ist ein Wirklichkeit gewordener Albtraum, der ihr Vertrauen in die Welt zutiefst erschüttert – sofern sie diesen Albtraum überhaupt überlebt haben. Die Verleugnungsleistung, die ihre professionellen Misshandler an den Tag legen, kommt der Verleugnungsleistung der bundesrepublikanischen psychiatrischen Gutachter der 50er- und 60er-Jahre gleich, die ehemalige, auf Wiedergutmachungszahlungen klagende KZ-Häftlinge mit verfolgungsbedingten körperlichen und psychischen Spätfolgen als „Rentenneurotiker“ und Simulanten abstempelten. Wie Kurt Eissler, ein in die USA emigrierter Psychoanalytiker mit österreichischen Wurzeln, in seinem erschütternden Aufsatz „Die Ermordung von wie vielen seiner Kinder muss ein Mensch symptomfrei ertragen konnen, um eine normale Konstitution zu haben“ es in Bezug auf jene damaligen Psychiater schreibt, muss man auch im Hinblick auf die Misshandler von heute sagen, dass es „vorderhand ein Rätsel (bleibt), wieso es zu einer so schweren Störung des Einfühlungsvermögens bei gebildeten Intellektuellen kommen kann.“ [2]
Spendenaufruf: Rechtsanwältin Cristina Poblador wird sich dafür einsetzen, dass Karina Hansens Entmündigung per Gerichtsbeschluss wieder rückgängig gemacht wird, wahlweise, falls das Gericht ihrem Antrag nicht folgt, wenigstens ein Elternteil die Vormundschaft übernehmen kann. Das Verfahren ist mit erheblichen Kosten verbunden. Save4Children sammelt dafür Spendengelder. Über diesen Link können Sie zum Spendenfond beitragen.
1 Bachmann I Der Fall Franza, Zitat S. 404, „Werke“, Sonderausgabe 1982, Piper.
2 Eissler KR „Die Ermordung von wie vielen seiner Kinder muss ein Mensch symptomfrei ertragen können, um eine normale Konstitution zu haben“, Zitat S. 265, Psyche, 1963, 17(5), 241-291, Psychosozial-Verlag.
Katharina Voss, Copyright 2016