(Vorbemerkung: Die Myalgische Enzephalomyelitis – hierzulande meist
unzutreffend als „Chronisches Erschöpfungssyndrom“ oder „CFS“ bezeichnet – wird häufig
fälschlich als eine sogenannte somatoforme Störung angesehen und auch so diagnostiziert
und therapiert. In meinem Buch behandele ich dieses Problem ausführlich und
zeige auf, weshalb eine ME-Erkrankung nicht mit einer der somatoformen
Störungen kompatibel ist.)
Kennen Sie den?
Fragt der Pfarrer im
Religionsunterricht: „Was ist das? Es ist rot, hat einen buschigen Schwanz und
springt von Baum zu Baum?“
Meldet sich Klein-Fritzchen:
„Normalerweise würde ich sagen, es ist ein Eichhörnchen, aber wie ich den Laden
hier kenne, ist`s bestimmt mal wieder der liebe Herr Jesus!“
Was hat aber dieser niedliche Witz mit den sogenannten „Somatoformen
Störungen“ zu tun?
Nach der Definition sind das zentrale Merkmal einer
somatoformen Störung körperliche Beschwerden, die auf einen medizinischen
Krankheitsfaktor hindeuten, ohne dass jedoch eine hinreichende medizinische
Erklärung für diese Beschwerden gefunden wird.
Und da liegt auch schon gleich der Hase im Pfeffer. Denn
wie soll man ausschließen, dass es nicht doch eine Erklärung für die
Beschwerden gibt? Die Ursache der Beschwerden ist ja nur nicht gefunden worden, was nicht heißt, dass sie nicht existiert. Oder
aber sie ist gefunden worden, wurde jedoch vom Arzt als nicht ausreichend betrachtet, die Beschwerden zu begründen.
Würde der Arzt nun naturwissenschaftlich vorgehen, läge
es nahe, die eigenen Untersuchungs- und Messmethoden in Frage zu stellen. Genau
das aber verweigert der Psychosomatiker dem Patienten. Er erklärt seine
Untersuchungs- und Messmethoden (bzw. die der Voruntersucher) zu den einzig objektivierenden
und seine rein subjektive Einschätzung, dass die eventuell vorhandene Ursache
nicht die Stärke und Dauer der Beschwerden erkläre, zu der einzig richtigen.
Darüber hinaus verweigern viele Psychosomatiker dem
Patienten auch noch den Nachweis einer Verbindung
seiner Beschwerden mit „psychischen Faktoren“, „mit belastenden Ereignissen oder
Problemen“ oder „mit emotionalen Konflikten oder
psychosozialen Belastungen […], denen
die Hauptrolle für Beginn, Schweregrad, Exazerbation oder Aufrechterhaltung der
Schmerzen“ zukommen müsste bei korrekter Diagnosestellung einer somatoformen
Störung nach ICD-10-GM.
Im Klartext bedeutet das,
dass vielen Psychosomatikern der somatische Negativbefund genügt und sie einen
psychischen Positivbefund für die Stellung einer Psychodiagnose als überflüssig
erachten.
Die Diagnose einer
somatoformen Störung, die auf diesem Wege zustande kommt, bleibt also nichts
weiter als die bloße Behauptung, dass keine hinreichende Ursache für die
Beschwerden existiere, gestützt auf die reine Unterstellung, dass der Patient
unverarbeitete psychische Konflikte haben müsse, die zu seiner Symptomatik
geführt haben werden.
Dem Patienten wird damit ein
psychosomatisches Etikett aufgeklebt, das nichts, absolut gar nichts darüber
aussagt, woran dieser Patient nun wirklich leidet. Ein nur halbwegs gescheiter
Arzt ist immerhin fähig, eine Blinddarmentzündung zu diagnostizieren, wenn der
Patient ein paar typische Blinddarmentzündungssymptome darbietet wie Schmerzen
im rechten Unterbauch, vor allem beim Gehen und beim Anheben des rechten
Beines, eine angespannte Bauchdecke, Fieber und Übelkeit.
Ein Psychosomatiker läuft jedoch leicht Gefahr, die
richtige Diagnose zu verkennen und dem Patienten fälschlich das Etikett einer
somatoformen Störung zu verpassen – mit zuweilen gravierenden Folgen. Denn die
Fixierung auf derartige Diagnosen lädt zu dem falschen Schluss ein, der Patient
leide unter seinen Beschwerden, weil er eine somatoforme Störung habe.
Doch eine solche Schlussfolgerung ist das logische
Äquivalent zu der sinnfreien Feststellung, der Patient leide an seinen
Beschwerden, weil er an seinen Beschwerden leide.
Solange es keine Marker für somatoforme Störungen gibt
und keinen zweifelsfreien Nachweis einer Verbindung der Beschwerden zu einem
emotional oder psychisch belastenden Konfliktgeschehen, ist die Diagnose einer
sogenannten somatoformen Störung nichts weiter als heiße Luft, ein bloßes Label,
das nichts erklärt und nicht einmal etwas zu erklären versucht und dessen
Hauptmerkmal Beliebigkeit ist.
Das Label trägt dabei keineswegs zur ursächlichen Abklärung
der Beschwerden des Patienten bei und führt deshalb auch nicht zu einer
angemessenen Therapie mit der Aussicht auf Besserung oder gar Heilung, sondern es
dient einzig und allein der Kostenentlastung des Gesundheitssystems, der
Aufrechterhaltung eines Berufstands, nämlich dem der Psychosomatiker, und der
Aufrechterhaltung der Fassade des allwissenden Arztes, der mithilfe dieses
Labels seine Machtposition gegenüber dem Patienten sichert und der unangenehmen
Aufgabe enthoben wird, seine Rat- und Hilflosigkeit zugeben zu müssen.
Das starrsinnige Festhalten so zahlreicher
Psychosomatiker an ihrer Deutungshoheit und das Auskosten ihrer Machtposition gegenüber
dem Kranken haben sich mit der fortschreitenden kostensparenden Verschlankung
des Gesundheitssystems bedauerlicherweise zu besonderen Charakteristika vieler dieser
Fachrichtung Zugehörigen entwickelt – ganz entgegen den Bestrebungen ihrer
einstigen Begründer, wie z.B. Thure von Uexküll.
Doch ihre inflationäre Vergabe solcher nichtssagenden und
dennoch stigmatisierenden Diagnosen, denen sich so mancher Psychosomatiker aus
dem Füllhorn der Beliebigkeit zu bedienen scheint, höhlt auf die Dauer dann
doch die Autorität eines derart überheblichen Diagnostikers aus und nährt
langsam, aber stetig die Zweifel auch des genügsamsten und eingeschüchtertsten
Patienten.
Im Grunde geben Psychosomatiker dieses Schlages sich
selbst der Lächerlichkeit preis. Womit wir wieder bei dem Klein-Fritzchen-Witz
angelangt wären, den man in Anbetracht der für die Patienten so schmerzlich
spürbaren Allmachtsfantasien und Omnipotenzbestrebungen etlicher
Psychosomatiker auch so abwandeln könnte:
Fragt der Professor für
Psychosomatik die Studenten bei der Visite: „Welche Verdachtsdiagnose würden Sie
diesem Patienten geben: Er hat Schmerzen im rechten Unterbauch, vor allem beim
Gehen und beim Anheben des rechten Beines, eine angespannte Bauchdecke, Fieber
und Übelkeit?“
Meldet sich Student Fritz:
„Normalerweise würde ich sagen, es ist eine Blinddarmentzündung, aber wie ich
den Laden hier kenne, ist`s bestimmt mal wieder eine somatoforme Störung!“
Mehr zu diesem Thema und den Hintergründen in meinem Buch.
Bildnachweise:
Pieter Boel, Stillleben mit totem Hasen, www.commons.wikimedia.org
André Brouillet, Une leçon clinique à la Salpêtrière, www.commons.wikimedia.org
Bildnachweise:
Pieter Boel, Stillleben mit totem Hasen, www.commons.wikimedia.org
André Brouillet, Une leçon clinique à la Salpêtrière, www.commons.wikimedia.org
Katharina Voss, Copyright 2015