Die Petition richtet sich an Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit (BMG) und 12 andere. *
Katharina Voss
ME- bzw. "CFS"-Patienten fordern:
o ANERKENNUNG DES WHO-CODES G93.3
o GELDER FÜR DIE BIOMEDIZINISCHE ERFORSCHUNG VON ME („CFS“)
o SCHLUSS MIT DER DISKRIMINIERUNG DURCH UNSER GESUNDHEITSSYSTEM
Myalgische Enzephalomyelitis? – Noch nie
gehört!
Die Myalgische Enzephalomyelitis (ME) ist die häufigste und verheerendste Krankheit, von der
Ihr Arzt noch nie gehört hat. Viele Ärzte glauben, dass diese Krankheit nur in
den Köpfen der Patienten existiert. Dabei wurde ME von der WHO bereits 1969
unter dem Diagnoseschlüssel G93.3 als organische Krankheit klassifiziert.
In Deutschland wird ME auch verharmlosend und
unzutreffend als „Chronisches Müdigkeitssyndrom“, „Chronisches Erschöpfungssyndrom“
oder „Chronic Fatigue Syndrom“ („CFS“) bezeichnet. Diese Namen sind das
Ergebnis einer beispiellosen Bagatellisierungs-
und Psychopathologisierungskampagne, die kurz nach
der Klassifikation der WHO begann. (Wenn Sie mehr über die Krankheit erfahren
wollen und wen sie treffen kann, bitte runterscrollen.)
Was wir im Einzelnen fordern:
o Ein offizielles Bekenntnis
des BMG, des G-BA, der BÄK, des GKV, des MDS, der AWMF und der DRV zu einer
WHO-konformen Einordnung von ME (und „CFS“) unter dem Schlüssel G93.3
o Ein offizielles Bekenntnis
des BMG, des G-BA, der BÄK, des GKV, des MDS, der AWMF, des BMBF und der DRV,
ihr zukünftiges Handeln in Bezug auf die Krankheit ME bzw. „CFS“ nach Artikel 2
(2) und Artikel 3 (2 u. 3) des Grundgesetzes auszurichten [Artikel 2 (2) „Jeder
hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. …“. Artikel 3 (2)
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche
Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die
Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Artikel 3 (3) „… Niemand darf wegen
seiner Behinderung benachteiligt werden.“]
o Die Neufassung einer
AWMF-Leitlinie zur Myalgischen Enzephalomyelitis auf der Grundlage der International Consensus Criteria von 2011
und des International Consensus Primer von 2012
o Die ersatzlose Streichung
des Kapitels „Chronisches Müdigkeitssyndrom (CFS)“ und sämtlicher Bezugnahmen
in den übrigen Kapiteln auf „CFS“ und ME inklusive Streichung der
Patientenbriefe aus der DEGAM-Leitlinie Nr. 2 "Müdigkeit"
o Die Neufassung einer
ärztlichen Leitlinie zur Myalgischen Enzephalomyelitis auf der Grundlage der International Consensus Criteria von 2011
und des International Consensus Primer von 2012
o Die Ausarbeitung von
Patientenbriefen auf der Grundlage der International Consensus Criteria von 2011
und des International Consensus Primer von 2012
o Die Übersendung von
Informationsmaterial (neue Leitlinien und Patienteninformationen, s.o.) an
allgemeinmedizinische, internistische, neurologische, infektiologische,
immunologische, allergologische, rheumatologische, kardiologische,
hämatologische, endokrinologische, umweltmedizinische, sportmedizinische,
physiotherapeutische, osteopathische, psychiatrische und HNO-Praxen
o Informations- und
Aufklärungskampagnen zum Krankheitsbild für Ärzte, Krankenhäuser, Notaufnahmen,
Reha-Kliniken, Gesundheitsämter, Schulämter, Jugendämter, Sozialämter,
Krankenversicherer, Rentenversicherer, Berufsunfähigkeitsversicherer,
Gutachter, Jobcenter, VdK
o Ärztefortbildungen zum
Thema Myalgische Enzephalomyelitis auf der Grundlage internationaler
biomedizinischer Forschungsergebnisse
o Die Verankerung des Themas
in den Lehrplänen der medizinischen Fakultäten
o Die ersatzlose Streichung
sämtlicher Bezugnahmen auf „CFS“ und ME und G.93.3 aus den DRV-„Leitlinien für die sozialmedizinische Beurteilung
von Menschen mit psychischen Störungen“
o Eine bundesweite
Aufklärungskampagne zu ME auf der Grundlage der International Consensus Criteria von 2011
und des International Consensus Primer von 2012
(Print- und Digitalmedien)
o Die Rücknahme des mangelhaft recherchierten RKI-Reports „Erkenntnisstand zum „Chronic
Fatigue Syndrome“ (CFS)“
o Die Einrichtung eines
Forschungsetats für die biomedizinische Erforschung von ME. Die Höhe des Etats
sollte Krankheiten vergleichbarer Prävalenz und vergleichbarem Behinderungsgrad
(z.B. MS) entsprechen
Wir bitten um Ihre Unterschrift!
Bitte helfen Sie mit Ihrer Unterschrift, die
katastrophale Lage der ME- bzw. „CFS“-Patienten in Deutschland zu verbessern.
Immer mehr Menschen sind von dieser grausamen Krankheit betroffen, seit
einigen Jahren auch zunehmend Kinder und Jugendliche. Viele von ihnen sind
gezwungen, ein menschenunwürdiges Dasein in
abgedunkelten Zimmern zu fristen, abgeschnitten
von der Außenwelt und völlig hilflos. Was soll aus diesen
Kindern werden, wenn ihre Eltern nicht mehr in der Lage sind, sie zu pflegen?
Was soll aus den vielen jungen Menschen werden, die ihre Schule nicht
beenden können, keine abgeschlossene Ausbildung haben und schwerkrank vor sich
hinsiechen?
Es muss endlich Schluss sein mit der Bagatellisierung,
Psychopathologisierung und Verleugnung einer Krankheit, an der überwiegend
Frauen leiden! Gegenwärtig werden Frauen mit Krankheiten unbekannter Ätiologie
durch unser Gesundheitssystem diskriminiert. Dem müssen wir entschieden
entgegentreten.
Menschen mit ME brauchen dringend effektive Therapien
und eine adäquate medizinische Versorgung, um wieder am Leben teilhaben zu können.
Der volkswirtschaftliche Schaden, der dadurch entsteht, dass man ME-Kranken
Forschung und Therapien vorenthält, ist immens. Da die Krankheit sich zunehmend
ausbreitet, muss dringend etwas geschehen. Es kann nämlich jeden treffen – auch
Sie!
Bitte unterzeichnen Sie hier!
INFORMATIONEN ZU ME
Was ist ME?
ME tritt sowohl sporadisch als auch in Epidemien und Clustern auf.
Es ist eine chronische und unheilbare Multisystemerkrankung, die in 80% der
Fälle viral ausgelöst wird. Die Ursache der Krankheit liegt weiterhin im
Dunkeln. Die Patienten warten mehr als 80 Jahre nach dem ersten dokumentierten epidemischen Ausbruch der
Krankheit immer noch auf größere Forschungsanstrengungen und eine effektive
Therapie.
Kernsymptom der Krankheit ist nicht etwa Müdigkeit,
wie oft behauptet wird. Kernsymptom ist eine pathologische Erschöpfbarkeit der Muskulatur mit
der Folge einer neuroimmunen Zustandsverschlechterung nach Belastung.
Je nach Schweregrad der Krankheit können die knapp bemessenen Energieressourcen
z.B. durch einen halben Arbeitstag, einen kurzen Spaziergang, leichte
Haushaltsarbeit oder sogar nur durch Nahrungsaufnahme, das Umdrehen im Bett
oder das Sprechen eines einzelnen Wortes völlig erschöpft sein. Wer die häufig
sehr eng gesteckten Grenzen der Belastbarkeit überschreitet, muss mit einer
vorübergehenden oder sogar dauerhaften Verschlechterung seines Zustands
rechnen. Dementsprechend haben Aktivierungstherapien oder gar körperliches
Training einen schädlichen Effekt. Weitere Symptome betreffen neurologische,
immunologische, kognitive, sensorische sowie autonome Bereiche. Viele
ME-Patienten leiden unter einer ausgeprägten Schmerzsymptomatik.
Tausende von Studien haben die biomedizinischen
Anomalien ME-Kranker inzwischen belegt. Einige von ihnen werden z.B. hier oder hier oder
auch hier aufgelistet.
Krankheitsverlauf
Die Krankheit kann einen zyklischen oder einen
schubweisen oder auch einen progredienten Verlauf nehmen. Dabei zeigt sie sich in
unterschiedlich schwerer Ausprägung. Die Betroffenen können mild, moderat,
schwer, sehr schwer oder sogar lebensbedrohlich erkrankt sein. Bei mild
Erkrankten ist die Aktivität um ca. 50% reduziert. Sie können i.d.R. noch
arbeiten, zur Schule gehen oder studieren, jedoch nicht an Freizeitaktivitäten
teilnehmen. Diese Patienten werden oftmals von Infektionen heimgesucht und
haben deshalb viele Fehltage. Moderat Betroffene müssen ihren Beruf meist
aufgeben, sind in ihrer Mobilität stark eingeschränkt und benötigen bei der
Bewältigung des Alltags viele Ruhepausen. Die Lebensqualität moderat Erkrankter
liegt weit unter der älterer Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und der
Lungentransplantierter. Auch moderat Betroffene sind demnach schwerkranke
Menschen.
Mild und moderat erkrankte ME-Patienten zeigten unter Belastung eine so schlechte
Sauerstoffaufnahme (VO2 max), dass fast die Hälfte von ihnen nach den
Leitlinien der American Medical Association als moderat bis schwerbehindert
gelten würde.
Schwer Betroffene – etwa 10% bis 25% der
Erkrankten – sind den größten Teil des Tages bettlägerig und nur selten in der
Lage, das Haus zu verlassen. Sie benötigen für längere Wege einen Rollstuhl und
haben massive kognitive Probleme. Schwerstkranke – ca. 1-2% – sind komplett
bettlägerig, unfähig zu den einfachsten persönlichen Hygienemaßnahmen und unfähig,
selbstständig zu essen und zu trinken. Extrem schwere Formen der Krankheit
können zu Anfällen, Lähmungen, Spastiken, Inkontinenz und lebensbedrohlichen
Komplikationen führen.
Kann man an ME sterben?
Die Krankheit kann auch einen tödlichen
Ausgang nehmen. Ein prominentes Beispiel ist der ME-kranke
britische Parlamentsabgeordnete Brynmor John, der am 13. Dezember 1988
plötzlich zusammenbrach und starb, als er das Fitnessstudio des britischen
Unterhauses verließ, nachdem man ihm Sport angeraten hatte, um wieder in Form
zu kommen. Ein weiterer bekannter Todesfall ist der von Sophia
Mirza. Einige Todesfälle stehen auch auf dieser
Liste.
Meist ist die Todesursache eine progressive Degeneration
der Endorgane, insbesondere Herzversagen, Versagen der Bauchspeicheldrüse oder Nierenversagen.
Auch tödliche Krebserkrankungen treten auffallend
gehäuft bei ME-Patienten auf. Das Sterbealter krebserkrankter
ME-Patienten liegt mehr als 20 Jahre unter dem durchschnittlichen Sterbealter
der übrigen Krebskranken. Bei Herzversagen liegt das durchschnittliche
Sterbealter ME-Kranker sogar fast 25 Jahre darunter. Die Suizidrate ist wie bei
allen schweren chronischen Krankheiten ebenfalls erhöht.
Nach einer Studie, die die Todesursachen verstorbener
ME-Patienten analysierte, stehen sowohl Suizid als auch Herzversagen mit
jeweils 20%, Krebs mit 19% und Komplikationen durch ME (wie z.B.
lebensgefährliche Infektionen, Medikamentenunverträglichkeiten etc.) mit 11% an
der Spitze der Todesursachen. Das durchschnittliche Sterbealter ME-Kranker
liegt beträchtlich unter dem der Allgemeinbevölkerung.
Wie viele erkranken?
Nach Schätzungen des Bundesministeriums für Gesundheit
soll es etwa 300.000 „CFS“-Kranke in Deutschland geben. Das sind weit mehr als
HIV-Infizierte. Bei konservativer Schätzung wären es immerhin noch 200.000
Erkrankte, ebenso viele wie an Multipler Sklerose
Erkrankte. Die Myalgische Enzephalomyelitis hat sich aus einer im Jahr 1959 „auf nationaler Ebene zahlenmäßig nicht wichtig[en]“
Krankheit zu einer der „häufigste[n] chronische[n] Krankheit[en] junger und
mittelalter Erwachsener“ westlicher Industrienationen entwickelt.*
Wer erkrankt?
Die Krankheit kann jeden treffen. Alle ethnischen
Gruppen und Menschen aller sozioökonomischen Schichten sind betroffen, ebenso
alle Altersgruppen, einschließlich Kindern. Einer großen norwegischen Studie zufolge erkranken am
häufigsten Menschen der Altersklassen zwischen 10 und 19 Jahren und zwischen 30
und 39 Jahren. Laut einer britischen
Studie leiden 51% der Schüler mit langen Fehlzeiten an
ME.
Frauen erkranken zwei- bis viermal so häufig wie Männer. Als Gründe
für die höhere Prävalenzrate bei Frauen werden deren geringeres Blutvolumen
sowie deren verminderte Masse an Blutzellen diskutiert, außerdem die Schwächung
der Th1-Immunität durch das weibliche Sexualhormon Östrogen. Diese
Faktoren scheinen das Entstehen einer ME zu begünstigen.
Wie sieht die medizinische Versorgung für ME-Kranke
aus?
Weil die Krankheit verharmlost, psychopathologisiert
oder auch verleugnet wird, erhalten die Erkrankten keine angemessene
medizinische Versorgung. Nur wenige Patienten sind richtig diagnostiziert, da
es kaum Ärzte gibt, die mit dem Krankheitsbild vertraut sind. Vielen
bettlägerigen Schwer- und Schwerstkranken, die nicht mehr mobil sind, fehlt die
dringend benötigte hausärztliche Betreuung. Patienten, die noch in der Lage
sind, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, treffen meist auf Behandler, die
ihnen aus Unkenntnis psychiatrische Falschbehandlungen wie
etwa Aktivierung angedeihen lassen. Sinnvolle therapeutische Maßnahmen zur
Symptomlinderung sind den meisten Medizinern unbekannt. Effektive Behandlungen,
die zu Remission oder gar Heilung führen würden, stehen bis heute nicht zur
Verfügung.
Viele ME-Patienten müssen
Jahre oder Jahrzehnte eine Lebensqualität erdulden, die
der von AIDS- und Krebspatienten im Endstadium vergleichbar ist
– ohne dass sie medizinisch adäquat versorgt werden.
Wie lauten die evidenzbasierten Therapieempfehlungen
zu ME?
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM)
hält die Myalgische Enzephalomyelitis oder das „Chronische Müdigkeitssyndrom“,
wie sie es nennt, entgegen der WHO-Einordnung für eine Befindlichkeits- oder
Verhaltensstörung. Dementsprechend werden in der DEGAM-Leitlinie „Müdigkeit“, die auch die
Behandlungsrichtlinien für „CFS“-Kranke enthält, nur allgemeine
Gesundheitstipps zur Aktivierung der Patienten gegeben, die auf psychiatrischen
Behandlungsempfehlungen beruhen. Der schlecht recherchierte Report des Robert-Koch-Instituts zu „CFS“ enthält
die gleichen Empfehlungen. Ebenso die S 3 Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft
der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, die „CFS“ bzw. ME zu
„nicht-spezifischen, funktionellen und somatoformen Körperbeschwerden“ zählt.
Diese psychiatrischen Empfehlungen basieren hauptsächlich auf der sogenannten PACE trial, einer britischen Studie, die Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) und Graded Exercise Therapy (GET) für erfolgversprechend erklärte. Doch solche Therapien sind potentiell schädlich für ME-Kranke, wie diverse Studien beweisen.
Diese psychiatrischen Empfehlungen basieren hauptsächlich auf der sogenannten PACE trial, einer britischen Studie, die Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) und Graded Exercise Therapy (GET) für erfolgversprechend erklärte. Doch solche Therapien sind potentiell schädlich für ME-Kranke, wie diverse Studien beweisen.
Aber auch ohne Kenntnis dieser Studien liegt es auf
der Hand, dass eine organische Krankheit, deren Kernsymptom eine pathologische Erschöpfbarkeit der Muskulatur mit
der Folge einer neuroimmunen Zustandsverschlechterung nach Belastung ist,
weder mit Aktivierung noch mit der Verleugnung der Überzeugung, an einer
organischen Krankheit zu leiden, behandelbar ist. Man käme nicht auf die Idee,
andere organische Krankheiten wie etwa Krebs oder AIDS in erster Linie und
ausschließlich mit Aktivierung und/oder Kognitiver Verhaltenstherapie zu
behandeln!
Weshalb die Daten der PACE trial international in die
Kritik geraten sind und warum die Autoren der Studie sich weigern, ihre
anonymisierten! Daten herauszugeben, können Sie z.B. hier, hier und hier sowie hier, hier, hier und hier und hier nachlesen.
Wie sieht es mit der Forschung in Deutschland aus?
In Deutschland wird ME bzw. „CFS“ entgegen der
rechtsverbindlichen Klassifikation der WHO und des 5. Sozialgesetzbuches psychopathologisiert.
Die biomedizinischen Anomalien der Krankheit werden verleugnet, eine organische
Ursache der Krankheit erst gar nicht in Erwägung gezogen. Ärztliche Leitlinien
der DEGAM und der AWMF, die Leitlinien der DRV sowie Stellungnahmen von
Ärztekammern und Krankenversicherern dokumentieren, dass Deutschland den
internationalen Forschungsstandards zu ME um Jahrzehnte hinterherhinkt.
Die Ergebnisse der internationalen ME-Forschung werden
hierzulande kaum zur Kenntnis genommen und fließen nicht in die ärztliche Aus-
und Fortbildung ein. Deutschland selbst hat bislang gar keine öffentlichen
Mittel für die Erforschung der ME aufgewandt.
Ein Grund, weshalb unser deutsches Gesundheitssystem
ME bzw. „CFS“ wahlweise verleugnet, bagatellisiert oder zu einer psychischen
Krankheit umdeklariert, mögen die hohen Kosten sein, die mit der Erforschung
der Krankheit und der Entwicklung einer effektiven Behandlung verbunden sind.
Doch der volkwirtschaftliche Schaden, der aus dieser Ignoranz erwächst, ist
immens.
Wie hoch wird der volkwirtschaftliche Schaden
beziffert?
Für Deutschland sind keine Zahlen verfügbar. Eine amerikanische Untersuchung errechnete die
jährlichen Gesamtkosten durch Produktivitätsverluste – ohne die Kosten für
medizinische Behandlung mit einzurechnen – auf 9,1 Milliarden Dollar. Zu der
Zeit, als die Untersuchung durchgeführt wurde, war das mehr als der Endgewinn Walmarts, des
seinerzeit größten Unternehmens der Welt.
Eine andere Studie aus dem Jahr 2008, die
direkte und indirekte Kosten einberechnete, kam auf die schwindelerregende
Summe von fast 24 Milliarden Dollar, die „ME/CFS“ die amerikanische
Gesellschaft pro Jahr kostet. Rechnet man das auf die geschätzten
Prävalenzzahlen für Deutschland um, wäre bei uns ein jährlicher Verlust
zwischen fünf und neun Milliarden Euro zu beklagen.
Effektiv therapierte ME-Patienten, die genesen und in
den Produktionsprozess reintegriert wären, würden innerhalb kürzester Zeit die
Kosten für medizinische Forschung und Behandlung erwirtschaften und könnten
darüber hinaus wieder deutlich zur Steigerung des Bruttosozialproduktes
beitragen.
Soziale Isolation
Ein Großteil der Erkrankten lebt sozial isoliert.
Schwer Erkrankte vegetieren oft Jahrzehnte vor sich hin, ohne adäquate
medizinische Versorgung, von hilflosen, überforderten und uninformierten Ärzten
aufgegeben, von Gutachtern beargwöhnt oder verhöhnt,
von den Sozialsystemen häufig ausgeschlossen und nicht selten sogar von
Freunden und Verwandten im Stich gelassen. Oft zu krank, um Haus oder Bett zu
verlassen, Besuch zu empfangen oder auch nur zu telefonieren, vereinsamen diese
Menschen und verschwinden allmählich von der Bildfläche.
Aber auch diejenigen, die noch in der Lage wären,
Kontakte zu pflegen, werden oft ins soziale Abseits gestellt. Dazu tragen
verharmlosende Bezeichnungen wie „Chronisches Erschöpfungssyndrom“ oder
„Müdigkeitssyndrom“ nicht unwesentlich bei. Sie suggerieren, dass es sich nicht
um Symptome mit Krankheitswert, sondern nur um Befindlichkeiten handelt, die
auch Gesunde erleben. Entsprechend gering ist die gesellschaftliche Akzeptanz.
Die Betroffenen werden häufig sozial geächtet und als faul, hypochondrisch,
hysterisch, verhaltensauffällig, psychisch krank, verrückt sowie als
Sozialschmarotzer und Simulanten abgestempelt. Die Hilfsbereitschaft der
wenigen verbliebenen Freunde lässt oft dann spürbar nach, wenn sie realisieren,
dass der Zustand des Patienten sich nicht verbessert und ME tatsächlich eine
chronische Krankheit ohne Heilungsaussichten ist.
Doch viele ME-Patienten sind schon aufgrund ihrer
speziellen neurologischen Symptomatik von der gesellschaftlichen Teilhabe, auf
die Behinderte einen gesetzlichen Anspruch haben, weitgehend ausgeschlossen.
Eine australische Untersuchung dokumentierte
eindrucksvoll die soziale Isolation der Betroffenen. Dänische Forscher untersuchten die
Lebensqualität von „ME/CFS“-Patienten und verglichen sie mit der von Patienten
20 anderer schwerer Krankheiten. Bei den „ME/CFS“-Patienten wurde mit Abstand
die durchschnittlich niedrigste Lebensqualität festgestellt. Selbst Patienten
mit chronischem Nierenversagen, Schlaganfall und Krebs hatten eine höhere
Lebensqualität. Eine amerikanische Studie kam bereits vor 20
Jahren zum gleichen Ergebnis. Die Situation der Erkrankten hat sich also
seither nicht im Geringsten verbessert.
Finanzielle Misere
Ein Großteil der Erkrankten steckt in finanziellen
Schwierigkeiten. Zumeist krankheitsbedingt erwerbsunfähig, sind sie auf die
finanzielle Unterstützung von Familie oder Partner angewiesen, oder sie leben
von Erwerbsminderungsrente bzw. Grundsicherung. Privatärztliche Konsultationen,
teure Labordiagnostik, Behandlungen mit hochwertigen Nahrungsergänzungsmitteln
oder andere Therapieversuche haben oft alle Ersparnisse verschlungen. Sind die
letzten finanziellen Ressourcen verbraucht, können sich die Erkrankten keine
Besuche mehr bei den überwiegend privat praktizierenden Spezialisten leisten
und müssen auch auf dringend benötigte Nahrungsergänzungsmittel und Bio-Kost
verzichten.
Die Wohnsituation vieler Erkrankter ist prekär. Sie
benötigen eine geräusch-, emissions- und schadstoffarme Umgebung. Ein Umzug ist
jedoch meist weder finanziell noch kräftemäßig zu stemmen.
Krankheiten unklarer Ätiologie bieten
Sozialversicherungsträgern größtmögliches Einsparpotenzial. Solange der G-BA
eine Leistung (z.B. eine Laborleistung oder eine Behandlungsmethode) nicht
anerkannt hat, wird sie von den gesetzlichen Krankenkassen nicht finanziert.
Entsprechen Leistung und Behandlungsmethode nicht dem „allgemein anerkannten
Stand der medizinischen Kenntnisse“ , werden die Kosten dafür dem Patienten
aufgebürdet. Weigert der ME-Patient sich, an bestimmten
Rehabilitationsmaßnahmen teilzunehmen, wie etwa stufenweise gesteigertem
Aktivitätstraining (GET), das zwar nach den derzeitigen Maßstäben der
Qualitätssicherung therapeutischen Nutzen verspricht, in Wirklichkeit aber dem
Patienten schadet, können ihm die Berentung verwehrt oder Sozialleistungen
gekürzt oder sogar entzogen werden.
ME bzw. „CFS“ dürfte eine der wenigen Krankheiten –
wenn nicht die einzige – sein, bei der den Patienten anstelle einer
medizinischen Behandlung eine Reha angeboten wird. In
der Regel muss einer Reha jedoch eine medizinische Therapie
vorangehen. Genau die wird den ME-Patienten aber von unserem Gesundheitssystem
vorenthalten.
Die DRV ordnet ME bzw. „CFS“ unter den psychiatrischen Erkrankungen ein.
Demzufolge werden die Patienten bei der DRV von Psychiatern begutachtet – und
das, obwohl sie an einer Krankheit leiden, von deren biomedizinischen Anomalien
die meisten Psychiater nicht das Geringste verstehen.
Viele Berufsunfähigkeitsversicherungen enthalten
außerdem eine sogenannte „Psycho-Klausel“, nach der der Versicherer bei
psychischen Erkrankungen des Versicherten keine Leistungen erbringen muss. Auf
diese Weise werden Renten eingespart und ME-Patienten in die Armut
getrieben.
Benachteilung und Diskriminierung chronisch kranker
Frauen
ME trifft Männer, Frauen und Kinder. Doch die meisten
Erkrankten sind Frauen. Wenn Frauen, die an einer chronischen Krankheit
unbekannter Ursache leiden, die biomedizinische Erforschung ihrer Krankheit und
die Entwicklung medikamentöser Therapien vorenthalten werden, liegt ein klarer
Fall von Benachteiligung vor.
Wenn Ärzte, Gutachter und Behörden körperliche
Beschwerden von Frauen nicht ernst nehmen und ihnen den Krankheitswert
absprechen, haben wir es mit Diskriminierung zu tun.
Wer Menschen, die an einer organisch klassifizierten Krankheit leiden, als
hysterisch oder hypochondrisch, als verhaltensauffällig oder als Simulanten und
Sozialschmarotzer abstempelt und sie nicht angemessen medizinisch untersucht
und versorgt, macht sich der Diskriminierung und Stigmatisierung
schuldig.
Auch wer Patienten für psychisch krank erklärt, obwohl
sie an einer organischen Krankheit leiden, betreibt ihre Stigmatisierung.
Denn die Psychopathologisierung gründet nicht etwa auf wissenschaftlichen
Erkenntnissen, die mit der Entwicklung effektiver Therapien verbunden wären.
Sie wird keineswegs zum Wohle des Patienten betrieben, sondern dient einzig und
allein der Kostenentlastung der Gesundheits- und Rentenkassen. Wer
bagatellisierend von chronischer Müdigkeit oder Erschöpfung spricht und die
Kernsymptomatik der Krankheit nicht zur Kenntnis nimmt, trägt zur
Stigmatisierung der Erkrankten bei. Auch die Bezeichnung „Chronic Fatigue Syndrom” bzw. „CFS“ ist stigmatisierend,
weil der Name die Nähe zu psychiatrischen Erkrankungen suggeriert und einer
Verwechslung mit ihnen Vorschub leistet.
Inzwischen gibt es deutliche Hinweise darauf, dass die Zahl
der Erkrankten stetig zunimmt. Es sind hauptsächlich jüngere Frauen, die an ME
erkranken. Frauen, die noch mitten in Studium oder Ausbildung oder aber
Berufsanfänger sind. Oder Frauen, die bereits eine vielversprechende Karriere
gestartet haben. Frauen, die sich Kinder wünschen oder schon mitten in der
Familienplanung stecken. Die Krankheit
macht die Pläne all dieser Frauen zunichte und aus potenziellen
Leistungsträgerinnen der Gesellschaft sieche Almosenempfängerinnen.
Wir haben in Deutschland ein leistungsstarkes
Gesundheitssystem, um das wir von Menschen vieler Nationen beneidet werden. Die
Benachteiligung chronisch kranker, behinderter Frauen fügt dem Ruf unseres
Gesundheitssystems jedoch großen Schaden zu. Ebenso die Diskrimierung und
Stigmatisierung einer großen Gruppe Schwerkranker, gleich welchen Geschlechts,
welchen Alters, welcher Bildung, welchen Einkommens. Vergessen Sie nicht: Die
Krankheit kann jeden treffen! Deshalb sollten Sie sowie die Politiker und die
Vertreter unseres Gesundheitssystems sich gemeinsam mit uns für uns ME-Kranke
stark machen.
* Prof. Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinsamen
Bundesausschusses (G-BA); Prof. Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung (BMBF); Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer
(BÄK); Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes (GKV);
Dr. Stefan Gronemeyer, stellvertr. Geschäftsführer und leitender Arzt des
Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS); Prof.
Dr. med. Martin Scherer, Sprecher der Ständigen Leitlinien-Kommission der Deutschen
Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM); Dr. Sibylle
Scriba, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Obersten
Landesgesundheitsbehörden (AOLG); Birgit Hesse, Ministerin für Arbeit,
Gleichstellung und Soziales Mecklenburg-Vorpommern und Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz
(GMK) 2016; Dr. Axel Reimann, Präsident der Deutschen Rentenversicherung (DRV),
und Dr. med. Katja Fischer, Ansprechpartnerin für die DRV-„Leitline zur
sozialmedizinischen Beurteilung bei psychischen und Verhaltensstörungen“ (DRV);
Prof. Dr. Claudia Spies, Vorsitzende der Ständigen Kommission „Leitlinien“ der Arbeitsgemeinschaft
der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF); Prof. Dr.
Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch Instituts (RKI)
** Johnson, Hillary Osler's
Web: Inside the Labyrinth of the Chronic Fatigue Syndrome Epidemic, S. 203,
Penguin Books 1997.