Wie Menschen mit anderen
chronischen Krankheiten auch bleiben Patienten mit Myalgischer
Enzephalomyelitis leider ebenfalls nicht von zusätzlichen Krankheiten
verschont, die beispielsweise eine Operation erforderlich machen. Ob ein Zahn
gezogen oder ein Knochenbruch operativ behandelt werden muss, der Blinddarm,
die Gallenblase oder Nierensteine entfernt werden müssen, immer stellt sich die
Frage nach einer möglichst schonenden Behandlung, die die Grunderkrankung
nicht noch verschlimmert.
OP und Vollnarkose können
den Krankheitsverlauf nämlich erheblich verschlechtern, insbesondere auch die neurokognitive
Symptomatik.
Einzelfallberichte zeugen sogar von bleibenden Verschlechterungen nach nur
kleinen chirurgischen Eingriffen. Deshalb sollte eine OP immer nur dann ins
Auge gefasst werden, wenn eine konservative Behandlung nicht anschlägt und die
OP unumgänglich wird. Die meisten ME-Patienten erholen sich sehr viel langsamer
nach einer OP als Menschen ohne diese Grundkerkrankung. Während einige
Patienten eine dauerhafte Verschlechterung durch OP und Vollnarkose
davontragen, erholen sich andere langsam, aber stetig wieder davon.
Generell reagieren ME-Patienten
extrem empfindlich auf Medikamente und Chemikalien. Schon der Geruch eines
Desinfektionsmittels kann eine Immunreaktion mit einer oft gravierenden
Symptomatik beim ME-Kranken auslösen. Die Reihe spezifischer
Überempfindlichkeiten erfordert deshalb meist eine Anpassung der Narkosemittel
sowie spezielle vor- und nachbereitende OP-Maßnahmen.
Deshalb sollten Sie vor
einer geplanten OP die Ärzte Ihres OP-Teams über Ihre Grunderkrankung und die
damit verbundenen Komplikationen unterrichten. Falls ein stationärer Aufenthalt
erforderlich sein sollte, empfiehlt es sich, das Stationsteam ebenfalls über
die mit dieser Krankheit verbundenen Besonderheiten und Erfordernisse zu
informieren.
(Wenn Sie hier klicken,
können Sie den Blogpost für Ihre Ärzte zum Ausdrucken herunterladen. Hier habe
ich ein Dokument vorbereitet, das Ärzte und Pflegepersonal über Ihren Zustand
informiert. Bitte ergänzen Sie die Angaben und streichen Sie, was auf Sie
persönlich nicht zutrifft. Den Notfallausweis, herausgegeben von der New Jersey
ME/CFS Association und übersetzt von Regina Clos, können Sie hier ausschneiden,
laminieren lassen und ins Portemonnaie oder die Brieftasche stecken. Bitte
beachten Sie, dass hier nur allgemeine Empfehlungen auf der Grundlage der nur
spärlich vorhandenen Literatur gegeben werden können. Vergessen Sie bitte
nicht, diese Empfehlungen durch eigene Angaben zu ergänzen bzw. Empfehlungen zu
streichen, die nicht auf Ihren individuellen Fall zutreffen. Es besteht keine
Gewähr für die Richtigkeit der Angaben. Wenn Sie dieses Dokument nutzen wollen
und an Ihre Behandler weitergeben, tun Sie das auf eigene Gefahr. Im Übrigen
verweise ich auf meinen Disclaimer.)
Vorbemerkungen zur Myalgischen Enzephalomyelitis
Die Myalgische Enzephalomyelitis (ME) –
im ICD unter G93.3 codiert – ist eine schwere chronische neuroimmunologische Multisystemerkrankung
bislang unbekannter Ursache. Sie tritt sowohl
sporadisch als auch in Epidemien und Clustern auf. [Hyde, 1992; Dowsett u.Colby, 1997] Die Belege für eine immmunologische
und neurologische Dysregulation sowie für eine Stoffwechsel- und
Kreislaufdysregulation sind durch über 6000 biomedizinische Studien zunehmend
wissenschaftlich abgesichert.
Kernsymptom der
Krankheit ist nicht etwa Müdigkeit, wie die
irreführenden und unzutreffenden Bezeichnungen Chronic Fatigue Syndrom (CFS) oder Chronisches Müdigkeitssyndrom
nahelegen. Kernsymptom ist eine pathologische
Erschöpfbarkeit der Muskulatur, die oftmals bereits nach
geringfügiger Belastung zu einer dramatischen Entkräftung führt. [Ramsay,
1986] Je
nach Schweregrad der Krankheit können die knapp bemessenen Energieressourcen
z.B. durch einen halben Arbeitstag, einen kurzen Spaziergang, leichte
Hausarbeit oder sogar nur durch Nahrungsaufnahme, das Umdrehen im Bett oder das
Sprechen eines einzelnen Wortes völlig erschöpft sein. Wer die vielfach sehr
eng gesteckten Grenzen der Belastbarkeit überschreitet, muss mit einer
vorübergehenden oder sogar dauerhaften Verschlechterung seines Zustands
rechnen.
Das Kernsymptom der ME, die
pathologische Muskelerschöpfbarkeit, führt, wie geschildert, bei einem Großteil
der Patienten bereits nach geringfügiger Belastung wie Alltagsaktivitäten zu
einer massiven Entkräftung. Diese neuroimmune
Zustandsverschlechterung nach Belastung
wird post-exertional neuro immune exhaustion genannt, kurz PENE. [Carruthers
et al., 2011] Denn die überwältigende
Erschöpfung ist begleitet von einer Fülle neuroimmuner Symptome, darunter grippeähnliche
Symptome wie Hals-, Lymphknoten- und Kopfschmerzen, Glieder- und
Muskelschmerzen, Muskelzuckungen und -krämpfe,
Nervenschmerzen, Schlafstörungen, Schüttelfrost. Zu
einer PENE gehören aber auch stark behindernde kognitive Dysfunktionen wie erhebliche
Konzentrationsstörungen, Ausfall des Kurzzeitgedächtnisses, verlangsamtes
Denken, eine verwaschene Sprache, Informationsverarbeitungsschwierigkeiten,
Desorientierung, Verwirrung, Wortfindungsschwierigkeiten, Licht-, Geräusch-,
Lärm-, Geruchs-, Geschmacks- und Berührungsempfindlichkeit sowie viele weitere
Symptome aus dem autonomen, urogenitalen und gastrointestinalen Bereich. [Carruthers et al., 2012]
Diese Symptome sind bei
den Schwerkranken ständige, bei moderat und mild Erkrankten wechselnde
Begleiterscheinungen der Krankheit. Bei allen Erkrankten treten die Symptome nach
körperlicher und geistiger Anstrengung extrem potenziert oder aber aufs Neue
auf. Zuweilen tritt eine Zustandsverschlechterung aber auch ohne erkennbaren
Grund ein. Vielfalt, Stärke, und Häufigkeit der Symptome sind Gradmesser für
die Schwere der Erkrankung.
Operationen und Narkosen
Operationen und Vollnarkosen können den Krankheitsverlauf
einer ME erheblich verschlechtern, insbesondere auch die neurokognitive
Symptomatik. Schon kleine chirurgische Eingriffe stellen eine große Belastung dar.
Deshalb sollte eine OP immer nur dann bei ME-Kranken ins Auge gefasst werden,
wenn alle konservativen Therapien fehlgeschlagen sind und die OP unumgänglich
wird.
Viele der OP- und Narkoseempfehlungen, die
für Patienten mit einem Post-Polio-Syndrom ausgesprochen werden, [Paschen et al., 2010] gelten auch für ME-Patienten, abgesehen jedoch z.B. von den postoperativen
Physiotherapieempfehlungen, die nur für Post-Polio-Patienten gelten, weil sie
eine sehr viel kürzere Erholungszeit nach körperlicher Belastung als ME-Patienten
haben und nicht wie diese mit einer Zustandsverschlechterung auf Physiotherapie
reagieren. [S.a. S. 8
in: Paschen, 2009] Auch einige andere Behandlungsdetails unterscheiden sich,
die hier aber im Einzelnen noch spezifiziert werden.
Im
Allgemeinen benötigt ein ME-Patient im Vergleich
zu einer normalen Person weniger Betäubungsmittel. Vorsicht ist bei dem Einsatz
von Muskelrelaxantien geboten. Es ist empfehlenswert, die Dosis bei Beginn zu
halbieren (oder sogar noch sparsamer zu dosieren) und sie erst dann
schrittweise zu erhöhen, wenn das Mittel gut toleriert wird. Wegen erhöhter
Schmerzempfindlichkeit brauchen ME-Patienten oftmals mehr Schmerzmittel. Aber
auch hier sollte mit Bedacht vorgegangen und das Mittel zunächst auf seine
Verträglichkeit getestet werden. Schmerzmedikamente bergen u.a. ein erhöhtes
Risiko für eine Atemdepression bei ME-Patienten. Größte Vorsicht ist aus diesem
(und anderen Gründen) bei sedierenden Analgetika geboten. Wie bei Post-Polio-Syndrom-Patienten
besteht bei ME-Patienten meist ebenfalls ein Minderbedarf an Medikamenten
gegenüber einem Mehrbedarf an Blut und anderen Flüssigkeiten.
Vor allem neurochirurgische Eingriffe stellen ein
erhöhtes Risiko für ME-Patienten dar, denn es liegen Hinweise auf eine erhöhte
Wahrscheinlichkeit eines PFO (persistierendes Foramen ovale) bei ihnen vor.
Diese Herzfehlbildung ist auch bei 60-80% der Migränepatienten mit Aura zu
finden, zu denen ME-Patienten meist gleichfalls zählen.
Die
krankheitsbedingten spezifischen Überempfindlichkeiten erfordern eine Anpassung
der Narkosemittel sowie spezielle vor- und nachbereitende OP-Maßnahmen.
Präoperative
Maßnahmen
Weil ME-Patienten unter wiederkehrender Muskelschwäche
und auch kurzfristigen Lähmungserscheinungen leiden, die sich auch auf den
Hustenreflex, die Atmung und das Schlucken auswirken können, ist eine präoperative Lungenfunktionsprüfung anzuraten.
ME-Patienten haben teils
massive Herz-/Kreislaufprobleme. Dazu gehören beispielsweise Orthostatische
Intoleranz, POTS, Schwindel, Herzrhythmusstörungen, Herzstolpern, Palpitationen und Tachykardien. Aufgrund einer langjährigen
Krankheitsdauer und viraler Belastungen könnte sich bei manchen Patienten eine
Herzinsuffizienz eingestellt haben, die vor einem Eingriff medizinisch
abgeklärt werden müsste. [Maes u. Twisk, 2009] Außerdem besteht Grund zur Annahme,
dass die Herzleistung (bei erhaltener Auswurfleistung) in Rückenlage
herabgesetzt sein könnte und ein Risiko für Druckabfall besteht. [Peckerman et al., 2003]
Es besteht bei vielen
ME-Patienten der Verdacht auf ein intrazelluläres Defizit an Kalium und
Magnesium. Die Mineralstoffe im Allgemeinen, v.a. aber Kalium und Magnesium sollten
in ausreichenden Serumkonzentrationen vorliegen, insbesondere vor und nach
Operationen. Gegebenenfalls muss supplementiert werden.
Viele ME-Patienten haben
eine erhöhte Blutungsneigung. Oft ist auch ihre Wundheilung verzögert und manche
neigen zu Hämatombildung. In dem Zusammmenhang sollten auch die Blutgerinnung
und Vaskulitiden, von denen im Zusammenhang mit ME berichtet wurde, präoperativ
abgeklärt werden.
Da die meisten
ME-Kranken an einer Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse
mit verminderten Cortisol-Werten leiden, müssen sie sowohl vor einer OP als auch in der postoperativen
Phase auf eine relative Cortisol-Insuffizienz überprüft werden. Dabei sollte
die Gesamtmenge an freiem Cortisol mit einem 24-Stunden-Cortisol-Urintest gemessen
werden. Gegebenenfalls brauchen sie kurzfristig medikamentöse Unterstützung
durch die Gabe von einem Steroid (z.B. niedrig dosiertes Hydrocortison) während
und nach der OP, nämlich dann, wenn die Werte für freies Cortisol unter 20-30
mcg/24 Std liegen.
Vor einer OP sollte bei den
Patienten auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden, um einem
möglichen zu niedrigen Blutvolumen vorzubeugen. Vorsicht ist auch bei
Medikamenten geboten, deren Wirkung durch ein niedriges Blutvolumen potenziert
wird. Doch nicht alle ME-Patienten haben einen dauerhaft zu niedrigen Blutdruck.
Bei manchen Patienten schwanken die Werte und können unter Stressbedingungen
stark ansteigen. Es gibt sogar auch ME-Patienten mit einer Hypertonie, manchmal
als Folgeerscheinung einer Begleiterkrankung.
Zu beachten ist ferner eine eventuell bestehende Kälteintoleranz.
Sehr viele ME-Patienten haben schlecht durchblutete Extremitäten und können entsprechend
schnell auskühlen. Damit das nicht passiert, sollte im kühlen OP-Saal eine
angemessene Wärmezufuhr gewährleistet werden, z.B. mittels spezieller OP-Tisch-Auflagen.
Das
Operationsteam sollte über die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln (NEM),
Kräutern und Medikamenten unterrichtet werden, um Kontraindikationen und
Wechselwirkungen auszuschließen und ein rechtzeitiges Absetzen von NEM und
Medikamenten vor einer OP sicherzustellen.
Präoperativ sollte die Gabe von
Blutdrucksenkern oder Medikamenten, die neurogene Synkopen fördern
könnten, nach Möglichkeit vermieden werden.
Da jeder ME/“CFS“-Patient anders auf Narkosemittel und Medikamente
reagieren kann, sollten vor einer geplanten Operation für alle Narkosemittel
und Medikamente Hauttests durchgeführt werden, um zu bestimmen, welche Mittel
bedenkenlos zum Einsatz kommen können.
Narkose
Wann immer möglich, sollte bei ME-Patienten statt einer Vollnarkose
ein Lokalanästhetikum eingesetzt werden. Dabei sollten Vasokonstriktoren,
gefäßverengende Substanzen wie beispielsweise Adrenalin, nach Möglichkeit
vermieden werden. Denn etliche ME-Patienten leiden unter Orthostatischer Intoleranz
und neural vermittelter Hypotonie, was durch Katecholamine wie Adrenalin verstärkt
wird. Bei Patienten mit orthostatischen Beschwerden können
adrenalinhaltige Substanzen Synkopen auslösen. Auch das in der Zahnarztpraxis
häufig verwendete Lidocain sollte nach kein Möglichkeit kein Adrenalin
enthalten, allenfalls, wenn unumgänglich, in sparsamster Dosierung. Auch bei
kleinen Eingriffen z.B. in der Dermatologie und Unfallchirugie sollten
adrenalinfreie Lokalanästhetika bevorzugt eingesetzt werden.
Das
Risiko für Überreaktionen des Immunsystems und allergische Reaktionen,
inklusive hoher Histaminfreisetzung und Anaphylaxie, ist massiv erhöht.
Histaminliberatoren wie z.B. die Gruppe der Thiobarbiturate, wozu auch das vielfach
verwendete Thiopental-Natrium gehört, sollten bei diesen Patienten nach
Möglichkeit nicht zum Einsatz kommen.
Das Gleiche gilt für inhalative hepatotoxische Anästhetika wie
beispielsweise Halothan. Da viele ME-Patienten periodisch unter
reaktivierten Herpesvirusinfektionen mit HHV-6 und EBV leiden, sind sie u.U.
von einer milden, subklinisch verlaufenden Hepatitis betroffen. Deshalb könnten
hepatotoxische Narkosegase möglicherweise eine fulminate Hepatitis bei ihnen
auslösen.
Sympathomimetika mit blutdrucksenkender Wirkung wie Orciprenalin
(Handelsname Alupent) und Vasodilatatoren, wozu gefäßerweiternde Substanzen wie
Nitroglycerin, Stickstoffmonoxid, blutdrucksenkende Mittel inklusive
Alphablocker gehören, könnten möglicherweise ebenfalls Synkopen auslösen und
sind deshalb mit besonderer Vorsicht einzusetzen. Auch präoperativ sollten
Blutdrucksenker oder Medikamente, die neurogene Synkopen fördern könnten, nach
Möglichkeit nicht eingenommen werden.
Bewährt haben sich bei ME/“CFS“-Patienten folgende Narkosemittel:
Propofol als Induktionsmittel, Midazolam, Fentanyl (ein kurz wirkendes
Betäubungsmittel) und Droperidol (ein Mittel gegen Übelkeit) während der
Narkose. Zur Aufrechterhaltung der Narkose empfiehlt sich eine Kombination von
Distickstoffoxid, Sauerstoff und Isofluran. Dies sind jedoch nur Empfehlungen
allgemeiner Natur. Jeder ME/“CFS“-Patient kann durchaus unterschiedlich auf
Narkosemittel und Medikamente reagieren. Um das Risiko für Komplikationen zu
minimieren, sollten deshalb, wie bereits erwähnt, für alle Mittel Hauttests vor
einer geplanten Operation durchgeführt werden.
Eventuell könnte auch eine TIVA (Total Intravenöse Anästhesie) in
Erwägung gezogen werden, wenn bei der Wahl der Substanzen auf die
ME-spezifischen Besonderheiten Rücksicht genommen wird.
Es gibt Hinweise auf eine erhöhte Anfälligkeit für
Sauerstofftoxizität bei ME-Patienten, insbesondere bei einem FiO2
über 40%. Ein niedrigerer Sauerstoffgehalt von unter 30% FiO2
scheint von den meisten, aber nicht allen ME-Patienten besser toleriert zu
werden. Möglicherweise ist der bei ME-Patienten beeinträchtigte Stoffwechsel
von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) der Grund für diese Anomalie. Diese Patienten
können nicht genügend Radikalfänger – Antioxidantien – bilden und sind deshalb
freien Sauerstoffradikalen schutzlos ausgeliefert, die bei ihnen oxidativen
Stress auslösen und Zellstrukturen, Eiweiße und Erbinformation schädigen
können.
Postoperative Maßnahmen
ME-Patienten leiden
häufig unter Muskelschwäche, zeitweise unter kurzfristigen
Lähmungserscheinungen, Muskelzuckungen und Muskelspasmen, die sich auch auf den
Hustenreflex, die Atmung und das Schlucken auswirken können. Deshalb müssen
Atmung und Schluckreflex nach dem Einsatz von Muskelrelaxantien auch
postoperativ beobachtet werden.
Die Beatmungsphase muss bei ihnen u.U. postoperativ
verlängert werden. Auch mehrmalige Schleimabsaugungen könnten notwendig sein,
da Schutzreflexe wie Husten und Schlucken oft abgeschwächt sind.
In der postoperativen
Phase müssen die Patienten auf eine relative Cortisol-Insuffizienz überprüft
werden. (Siehe „Präoperative Maßnahmen“)
Erfahrungsgemäß erholen sich ME-Kranke sehr viel
langsamer nach einer OP als Gesunde oder Menschen mit anderen chronischen
Krankheiten. Dem sollte bei einem stationären Aufenthalt Rechnung getragen
werden. Nach ambulanten Eingriffen brauchen sie u.U. Unterstützung nach der
Entlassung. [Narkose-, OP- und Medikationsempfehlungen für
ME-Patienten/Post-Polio-Syndrom-Patienten: Cheney,
2010; Website von Prohealth, o.J.; Lapp, o.J.; Dowsett, 2001; Paschen et al.,
2010; Calmes, o.J.]
Warnung
Obwohl ME in Deutschland nicht als infektiöse
Krankheit angesehen wird, sprechen über 60 ME-Epidemien und zahlreiche
Cluster-Ausbrüche dafür, dass es sich um eine übertragbare Krankheit handelt. [Carruthers et al., 2011; Hyde, 1992; Dowsett u. Colby,
1997; Underhill u. O`gorman, 2006] Die Auswertung
der bisherigen Epidemien lässt vermuten, der bislang unentdeckte Krankheitserreger könnte womöglich im alltäglichen
sozialen Kontakt übertragen werden. [Underhill, 2015]
Es wird ferner angenommen, dass die Patienten v.a.
ganz zu Beginn ihrer Erkrankung
sowie während eines Krankheitsschubs/Zustandsverschlechterung, außerdem während
eines zusätzlichen Infekts bzw. einer Infektion ansteckend sein könnten. Bei
schwerer erkrankten Patienten ist das Infektionsrisiko insgesamt möglicherweise
größer als bei mild oder moderat Erkrankten. Da die Eintrittspforte für den Erreger mutmaßlich der
Nasen-Rachen-Raum ist (die meisten ME-Erkrankungen beginnen mit einem
Atemwegsinfekt!), sollte das medizinische Personal zu seinem eigenen Schutz das
Tragen eines Mundschutzes in Erwägung ziehen, wenn der ME-Patient an einem
zusätzlichen Infekt erkrankt ist oder einen Krankheitsschub hat.
Hygienemaßnahmen wie gründliches Händewaschen vor und nach dem Besuch
am Krankenbett sollten selbstverständlich sein.
Rosemary Underhill, eine Verfechterin der Infektionshypothese, empfiehlt
Gesundheitsdienstleistern und Krankenhausmitarbeitern darüber hinaus,
Handschuhe zu tragen und die üblichen Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten, wenn
sie mit Körperflüssigkeiten oder Gewebe ME-Kranker arbeiten, um einer
Verbreitung der Infektion vorzubeugen. [Underhill, 2015] Medizinisches Personal zählt auch heute
noch zu den Hochrisikogruppen, die auffallend gehäuft an ME erkranken. [Jason et al., 1998;
Pheby u. Saffron, 2009]
Medikamente
Medikamente sollten bei ME-Patienten stets sehr sparsam dosiert
und Nutzen und Risiko wohl abgewogen werden. Viele Patienten haben eine
Entgiftungsstörung und vertragen deshalb Medikamente
nur schlecht oder gar nicht. Sie können z.B. allergische oder paradoxe
Reaktionen bei ihnen bewirken.
Antibiotika
können eine Herxheimer-Reaktion bei ME-Patienten auslösen, insbesondere bei ME-Patienten
mit einer – meist nicht erkannten! – Borrelien-Coinfektion. Bei der Wahl
antibiotisch wirksamer Arzneistoffe sollten Tetrazykline wie z.B. Doxycyclin
bevorzugt werden. Sie werden i.d.R. besser als Makrolidantibiotika toleriert. Bakteriostatische
Substanzen sind bakterioziden generell vorzuziehen, da die meisten ME-Patienten
eine mitochondriale Dysfunktion (erworbene Mitochondriopathie) haben. Um einem
weiteren Abfall der Glutathion-Konzentrationen vorzubeugen, empfiehlt sich bei ihnen
eine zusätzliche, jedoch zeitlich versetzte Gabe von Antioxidantien wie z.B. Acetylcystein (NAC), sofern keine Histaminintoleranz
besteht. Auch auf einen ausreichenden Darmschutz sollte bei ihnen geachtet
werden. Mutaflor
und LGG-Lactobacillus kommen beispielsweise in Frage. Perenterol ist
hingegen bei immungeschwächten Patienten, zu denen ME-Patienten gehören,
kontraindiziert.
ME-Patienten reagieren oftmals sehr empfindlich auf Sedativa. Nach
Möglichkeit sollte der Einsatz von Sedativa und Psychotropika bei ihnen
vermieden werden. Ist eine Gabe unumgänglich, sollten Benzodiazepine,
Antihistaminika und Psychotropika bei Bedarf zunächst einmal nur sparsam und in
niedriger Dosierung eingesetzt werden, um unerwünschte Nebenwirkungen
ausschließen zu können.
Auch Schmerzmittel sollten zunächst auf ihre Verträglichkeit
getestet werden. Acetylsalicylsäure und Diclofenac sollten nach Möglichkeit nicht zum
Einsatz kommen. Ibuprofen wird von vielen Patienten gut vertragen.
Viele ME-Patienten haben eine
Alkoholunverträglichkeit. Medikamente, die nur geringste Mengen an Alkohol
enthalten, können ihren Zustand bereits verschlechtern. Auch
Konservierungsstoffe werden im Allgemeinen schlecht toleriert. Deshalb sollten
nach Möglichkeit Medikamente ohne diese Zusatzstoffe eingesetzt werden.
Allgemeine Empfehlungen für einen stationären Aufenthalt
ME-Patienten reagieren krankheitsbedingt extrem empfindlich auf
Chemikalien. Schon der Geruch eines Desinfektionsmittels kann eine starke Immunreaktion
bei ihnen auslösen. Im
Falle einer stationären Unterbringung sollte dieser Überempfindlichkeit durch
die Wahl von duftstofffreien, nicht aggressiven Reinigungs- und
Desinfektionsmitteln Rechnung getragen werden.
Es besteht eine ausgeprägte Immundysfunktion bei den
Patienten. Sie sind immundefizient und dementsprechend infektanfällig. [Goetz et al.; 2014] Virale Infekte verlaufen bei ihnen nicht im normalen Rahmen, sondern
nehmen einen prolongierten Verlauf und ziehen nicht eben selten schwerwiegende
Folgen nach sich. Ihr Zustand kann sich durch virale Infekte und bakterielle
Infektionen drastisch verschlechtern.
Wegen der bestehenden Immundefizienz sollte
medizinisches Personal sich stets gründlich die Hände waschen, bevor sie einen
ME-Kranken behandeln. Da diese Patienten sich nach Möglichkeit nicht impfen lassen sollten, weil
Impfungen das Krankheitsbild i.a.R. stark verschlechtern, sollte das Tragen eines
Mundschutzes während einer Grippewelle (oder wenn Behandler oder Pflegepersonal
eine Erkältung haben o.Ä.) in Gegenwart der Erkrankten selbstverständlich sein.
Sofern der Patient sich beim Atmen nicht behindert fühlt, sollte auch ihm ein
Mundschutz angelegt werden.
Viele ME-Patienten reagieren außerdem sehr empfindlich
auf Zugluft. Zugluft ist bei ihnen unbedingt zu vermeiden, da sie sich meist rasch eine Erkältung zuziehen, mit
der Folge starker Virusreaktivierungen.
Postoperative Physiotherapie ist bei den meisten
ME-Patienten kontraindiziert, da bereits geringe körperliche Aktivität zu einer
neuroimmunen Entkräftung
nach Belastung führen und das Krankheitsbild nachhaltig
verschlechtern könnte. [Twisk u. Maes, 2009] Um das Risiko für Lungenentzündung
zu senken, sollte der schwer betroffene Patient Hilfestellung beim Aufsetzen
bekommen, sofern sein Zustand und eventuell bestehende orthostatische
Beschwerden es zulassen.
Jede Form von indirekter Aktivierung, z.B. durch Verweigerung oder Unterlassen dringend benötigter Hilfestellungen in der Versorgung (Hygienemaßnahmen, Nahrungsaufnahme, Rollstuhl o. Liegerollstuhl, Toilettengänge etc.), ist unbedingt zu vermeiden. Je nach Schwere der Grunderkrankung brauchen ME-Patienten mehr oder weniger Assistenz. Das Pflegepersonal sollte sich daher auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten einstellen.
ME-Patienten benötigen i.d.R. ein Einzelzimmer, da sie krankheitsbedingt ein vermehrtes Ruhe- und Erholungsbedürfnis haben. Bei vielen von ihnen ist außerdem der Tag-/Nachtrhythmus pathologisch verändert oder sogar umgekehrt. Unnötige Störungen durch Pflege- oder Reinigungskräfte sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Ebenso Reizexposition, denn die Patienten sind extrem geräusch-, licht-, berührungs- und geruchsempfindlich. Dem Wunsch des Patienten nach auch tagsüber geschlossenen Vorhängen, dem Tragen eines Gehörschutzes, einer Sonnenbrille oder einer Schlafmaske sollte bitte unbedingt entsprochen werden. Andernfalls riskiert man eine einschneidende und schlimmstenfalls dauerhafte Zustandsverschlechterung des Patienten.
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Bildnachweise:
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Félix Vallotton, Die Kranke, www.commons.wikimedia.org
Katharina
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