Samstag, 23. Januar 2016

Baicalin



Wie in allen anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen auch, wo Menschen aus den verschiedensten Gründen auf ein Wunder warten, so wird auch in der ME-Community alle naslang eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Baicalin heißt das aktuelle Zauberwort, das einen rosa Hoffnungsschimmer auf die bleichen Wangen der Erkrankten zu hauchen vermag.



Baicalin ist ein Hauptbestandteil des Baikal-Helmkrauts (lateinischer Name Scutellaria baicalensis Georgi). Aus der Familie der Lippenblütengewächse und ursprünglich in Sibirien beheimatet, verbreitete sich das Baikal-Helmkraut bis nach China, wo es unter dem Namen Huang Quin eine lange Tradition als Heilpflanze in der Chinesischen Medizin hat. Es wird seit Jahrtausenden u.a. zur Behandlung von Durchfall, Ruhr, Gelbsucht, Fieber, Kopfschmerzen, Husten, Auswurf, Blutungen und Blasendysfunktion eingesetzt.*

Die mittlerweile auf der ganzen Welt kultivierte Pflanze enthält mehrere im Labor wissenschaftlich gut untersuchte Inhaltsstoffe; es gibt auch Tierexperimente zu einigen der Komponenten, Studien am Menschen sind aber leider bislang rar. Den verschiedenen pflanzlichen Extrakten wird u.a. eine antivirale, antibakterielle, antibiotische, antiinflammatorische, antioxidative, antiallergene, antikarzinogene, krampflösende, fiebersenkende, Blutungen stillende, beruhigende, angstlösende, blutdruck- und cholesterinspiegelsenkende Wirkung nachgesagt. [Eskin, Tamir, 2005]



Hier wollen wir uns auf Studien mit dem Flavonoid Baicalin fokussieren, unter besonderer Berücksichtigung seiner potenziellen Wirkungsweise bei Patienten mit Myalgischer Enzephalomyelitis.

Erst kürzlich entsann sich Dr. Judy Mikovits, die unermüdlich all ihre Kraft dafür einsetzt, unserer vernachlässigten Patientenpopulation zu einer wirksamen Behandlung zu verhelfen, einer ihrer Forschungsarbeiten aus dem Jahr 2000 über Baicalin als Wirkstoff gegen HIV-1. Judy Mikovits ist eine innovative Zell- und Molekularbiologin, die über 20 Jahre am National Cancer Institute zu Krebs, Epigenetik, Neuroimmunkrankheiten, Retroviren und HIV mit dem Schwerpunkt auf der Entwicklung neuer Medikamente und diagnostischer Technologien geforscht hat. Sie war ehemals Forschungsdirektorin des Whittemore-Peterson-Instituts und leitende Autorin der XMRV-Studie von 2009, die über retrovirale gag-Sequenzen eines humanen Gammaretrovirus in Blutproben ME-Kranker berichtete. [Lombardi et al., 2009] Wie allseits bekannt, musste diese Studie leider zurückgezogen werden. Denn Mikovits` Co-Autor Robert Silverman hatte ein "künstliches" XMRV aus einem aus drei Gewebeproben hergestellten Plasmid erzeugt, das sich dann in der Zelllinie VP62 vermehrte und – da über die Luft übertragbar [Gazdar et al., 2011] – zu Laborkontaminationen auch der Proben führte, in denen Mikovits bereits zuvor retrovirale gag-Sequenzen entdeckt hatte. Diese Sequenzen wiesen zwar eine gewisse Verwandtschaft zu XMRV auf, stimmten jedoch nicht mit dem Laborartefakt XMRV überein. [Goetz et al., 2014; Heckenlively/Mikovits, 2014]

Grundlage der Idee, Baicalin als Therapeutikum bei ME in Erwägung zu ziehen, ist also die Annahme einer retroviralen Infektion, zumindest bei einer Untergruppe von ME-Patienten. Diese Annahme wird durch die Tatsache gestützt, dass bei Patienten der Originalstudienkohorte von Mikovits et al. Antikörper gegen ein humanes Gammaretrovirus nachgewiesen wurden, was bei einer Laborkontamination schlechterdings unmöglich wäre. Außerdem haben sich die Einzelfallberichte von ME-Patienten, die signifikante Verbesserungen unter einer antiretroviralen Therapie erfuhren, mittlerweile weltweit herumgesprochen.



Doch wie funktioniert der Wirkmechanismus des Flavonoids Baicalin bezüglich Retroviren? Mikovits` Forschungsarbeit aus dem Jahr 2000 konnte zeigen, dass Baicalin die HIV-1-Infektion auf der Ebene des viralen Eintritts in die Zelle verhindert. [Li et al., 2000] Doch Baicalin kann noch mehr, nämlich in vitro die reverse Transkriptase* und damit die Replikation des Retrovirus stoppen, wie Francis Ruscetti und Kollegen 1993 demonstrierten. [Li et al., 1993] Dass der Anti-HIV-1-Effekt von Baicalin offenbar vor allem auf der Hemmung der reversen Transkriptase beruht, bestätigt ein Papier aus dem Jahr 1998 von Katsuhiku Kitamura et al. [Kitamura et al., 1998] So wird nicht nur das Eindringen des Retrovirus in die Zellen verhindert, sondern auch bereits infizierte Zellen werden durch die Blockierung der Reverse-Transkriptase-Aktivität an der Freisetzung weiterer Viren aus der Zelle gehindert.

Darüber hinaus kann Baicalin offenbar den selektiven Zelltod stark infizierter HIV-Zellen mit einer hohen Virusfreisetzungskapazität induzieren und vermag gleichzeitig die Vermehrung von HIV-infizierten Zellen mit einer niedrigen Expression des HIV-Genoms zu stimulieren, die eine deutlich geringere Kapazität hinsichtlich HIV-Produktion aufweisen. Dieser Wirkmechanismus könnte – so legen die Autoren dieser Studie nahe – die Lebensdauer HIV-Infizierter verlängern. [Wu et al., 1995]



Gilt dieser antiretrovirale Wirkmechanismus nun aber über HIV-1 hinaus auch für Gammaretroviren, wie sie Mikovits im Blut von Patienten mit ME gefunden hat? Dazu gibt es widersprüchliche Angaben. Francis „Frank“ Ruscetti, Mikovits` Mentor und Entdecker des humanen Retrovirus HTLV-1 (vor seiner Entdeckung hielt man es für ausgeschlossen, dass humane Retroviren existieren!), wies bereits 1992 nach, dass Baicalin die Reverse-Transkriptase-Aktivität sowohl in HTLV-1-infizierten Zellen als auch die des Moloney-Maus-Leukämievirus, ein Virusstamm der murinen Leukämieviren aus der Gattung der Gammaretroviren, hemmt. [Baylor et al., 1992]

Im Textbook of Complementary and Alternative Medicine wird jedoch die Behauptung aufgestellt, Baicalin blockiere nicht die reverse Transkriptase muriner Leukämieviren. [Yuan, Bieber, 2003] Auch in der Neuauflage des Buchs, diesmal Traditional Chinese Medicine betitelt, findet sich diese Behauptung. [Yuan, Bieber, Bauer, 2011]
Baicalein hingegen, eine andere Komponente des Baikal-Helmkrauts, nämlich das Aglycon* von Baicalin, wurde bereits 1989 als potenter Reverse-Transkriptase-Hemmer muriner Leukämieviren (der Rauscher- und Moloney-Stämme) beschrieben. [Ono et al., 1989]

Baicalin wird aber, wie eine erst kürzlich veröffentlichte Studie offenbarte, nach oraler Aufnahme von der Darmflora schnell in Baicalein umgewandelt. [Wang et al., 2015] Diese Entdeckung könnte möglicherweise die Diskrepanzen hinsichtlich der Forschungsergebnisse erklären. Während Baicalin in vitro womöglich nicht die Reverse-Transkriptase-Aktivität einiger muriner Leukämievirusstämme zu hemmen vermag, weil es nicht in Baicalein umgewandelt wird, so wirkt es in vivo unter dem Einfluss des Mikrobioms, das es in Baicalein umwandelt, womöglich eben doch als Reverse-Transkriptase-Inhibitor.

Bedauerlicherweise ist die Bioverfügbarkeit von Baicalin relativ gering. [Zhao et al., 2013] Es konnte aber in vitro nachgewiesen werden, dass das Spurenelement Zink die Anti-HIV-1-Aktivität von Baicalin potenzieren kann. [Wang et al., 2004] Baicalin gekoppelt mit Zink war hinsichtlich Hemmung der Reverse-Transkriptase-Aktivität und Blockierung des viralen Eintritts in die Wirtszelle deutlich wirksamer als Baicalin allein. Ein weiterer Vorteil dieser Verbindung ist ihre geringere Zelltoxizität. (Ein Selbstversuch bestätigte eine Wirkverstärkung durch Zink; bereits am ersten Tag zusätzlicher Zinkeinnahme kam es zu einer spürbaren Verbesserung der Beschwerden und nach zweitägiger Einnahme sogar zu einer starken Immunreaktion mit einem 24-stündigen Fieberschub ohne weitere Krankheitsanzeichen.)



Studien zufolge wirkt Baicalin auch gegen zahlreiche Viren, die opportunistische Infektionen* bei retroviral Infizierten verursachen. Auch Patienten, deren Erkrankung keine mutmaßliche retrovirale Infektion zugrundeliegt, die jedoch an anderen akuten viralen oder postviralen chronischen Erkrankungen leiden, könnten von Baicalin profitieren. Denn diesem „Alleskönner“ wird beispielsweise ein therapeutischer Effekt auf eine Infektion, die durch das humane Herpesvirus 6 (HHV-6) ausgelöst wurde, nachgesagt. [Chen et al., 2011] Moderate inhibitorische Effekte zeigte Baicalin gegen das Herpes simplex-Virus Typ 1 (HSV-1). [Sy et al., 2005] Eine starke antivirale Wirkung mit hoher Effizienz und geringer Toxizität erzielte Baicalin in vitro bei einer Enterovirus-71-Infektion, v.a. im Frühstadium. [Li, Shi et al., 2015] Ebenfalls in vitro wurde nachgewiesen, dass Baicalin effektiv eine Infektion mit Chlamydia trachomatis hemmen kann. [Hao et al., 2010]

Baicalin wirkt aber nicht nur antiviral und antiretroviral, sondern auch symptomlindernd. So wurde in Tierversuchen sein angstlösendes Potential beschrieben, [Liao et al., 2003; Xu et al., 2006] ebenso wie antidepressive Effekte. [Zhu et al., 2006; Li et al. 2013; Yu et al. 2014] In höherer Dosierung hat es eine beruhigende Wirkung [Wei et al., 2006] und es sorgt für eine bessere Schlafqualität. [Chang et al., 2011] Auch eine schmerzlindernde Wirkung wurde für Baicalin festgestellt. [Chou et al., 2003; Cherng et al., 2014] Durch Bindung an eine Vielzahl von Chemokinen wirkt das Flavonoid entzündungshemmend. [Li, Wang et al., 2000, Chou et al., 2003; Li, Dong et al. 2012] Baicalin besitzt auch antiallergische Eigenschaften und kann die Histaminausschüttung hemmen. [Kim et al., 2010; Jung et al., 2012] Es hat eine neuronale Schutzwirkung und konnte im Tierversuch die Folgen fokaler zerebraler Minderdurchblutung wie z.B. Hirninfarkte reduzieren und Hirnschwellungen verringern. [Wang et al., 2006]

Wie bei allen wirksamen synthetischen und pflanzlichen Medikamenten kann es auch bei Baicalin zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen. Es existieren zwei Einzelfallberichte über Leberschäden und Lungeninfiltrate durch die Einnahme von Huang Quin. [Teschke et al., 2014] Beide Fälle nahmen einen guten Ausgang; nach dem Absetzen des Präparats normalisierten sich die Laborwerte vollständig. Auf welche Komponente der Zubereitung die Schädigungen zurückzuführen oder ob sie durch Verunreinigungen verursacht worden waren, blieb ungeklärt.

Die Wirkung von Gerinnungshemmern (Blutverdünnungsmittel) oder Thrombozytenaggregationshemmern (z.B. ASS) kann durch Baicalin gesteigert werden, weshalb von einer gleichzeitigen Einnahme dringend abzuraten ist. Wegen seiner blutverdünnenden und aggregationshemmenden Eigenschaften sollte Baikal-Helmkraut zwei Wochen vor einer geplanten Operation abgesetzt werden. Das Risiko von Blutungen bei Personen mit Blutgerinnungsstörungen könnte durch die Einnahme erhöht werden. Einige Kräuter, wie z.B. Engelwurz, Gewürznelke, Knoblauch, Ingwer, Ginkgo, Panax-Ginseng und andere, könnten ebenfalls das Blutungsrisiko bei Patienten, die Baicalin einnehmen, erhöhen. Vorsicht sollten auch Patienten mit niedrigem Blutdruck walten lassen, da Baikal-Helmkraut blutdrucksenkend wirkt. Blutdrucksenkende Medikamente könnten seine Wirkung potenzieren und das Risiko für Hypotension erhöhen. Blutdrucksenkende Kräuter und Nahrungsergänzungsmittel (NEM) wie beispielsweise Katzenkralle, Theanin, L-Arginin, Coenzym Q10 und Fischöl können ebenfalls eine additive Wirkung haben und Hypotension verursachen. Patienten, denen Statine zur Senkung des Cholesterinspiegels oder wegen anderer Indikationen verschrieben wurden, sollten Baikal-Helmkraut bzw. Baicalin nicht einnehmen, da es die Plasmakonzentration des Statins senken kann. [Fan et al., 2008] Wie Tierforschungsergebnisse nahelegen, könnte Baikal-Helmkraut – zumindest theoretisch – die Wirkung und Nebenwirkungen des Antidiabetikums Metformin verstärken. [Waisundara et al., 2009] Für Diabetiker besteht ein erhöhtes Risiko für hypoglykämische EpisodenEinige Kräuter, wie z.B. Ingwer, Panax Ginseng, sibirischer Ginseng, Guarkernmehl, Teufelskralle, Bockshornklee u.a., bergen zusätzliches hypoglykämisches PotenzialBesondere Vorsicht ist auch geboten, wenn man Hustenblocker mit dem Wirkstoff Dextromethorphan nimmt, der auch in sehr vielen nicht verschreibungspflichtigen Husten- und Erkältungssäften/-pastillen enthalten ist. (Eine Übersicht dazu z.B. auf Wikipedia, Stichwort Dextromethorphan.) Baicalin hemmt den Stoffwechsel von Dextromethorphan, wodurch sich die maximale Wirkstoffkonzentration von Dextromethorphan erhöht. [Tian et al., 2013] Dextromethorphan wird auch zur Behandlung neuropathischer Schmerzen und von Störungen der Gefühlsregulation eingesetzt. Eine gleichzeitige Verabreichung von Baicalin ist kontraindiziert. Da in vitro-Belege zeigen, dass Baikal-Helmkraut sich auf den Östrogenhaushalt auswirkt, könnte es – in großer Menge verabreicht – eine Hormonersatztherapie beeinträchtigen. [Zhang et al., 2005] Patienten mit hormonsensitiven Erkrankungen sollten generell von einer Baicalin-Behandlung absehen. Zu diesen Krankheiten gehören Brust-, Gebärmutter- und Eierstockkrebs sowie Endometriose und Uterusmyome. Baicalin darf außerdem bei der Einnahme von Arzneimitteln, die über das Cytochrom-P450-System* metabolisiert werden, nicht verabreicht werden, weil das Risiko von Nebenwirkungen dieser Medikamente dadurch erhöht wird und es zu unerwünschten Wechselwirkungen kommen kann.* [Hou et al., 2000] Das gilt ebenso für manche Nahrungsmittel, Nahrungsergänzungsmittel (NEM), Gewürze oder Kräuter, die von ME-Patienten oftmals in therapeutischen Dosen konsumiert werden.* Knoblauch beispielsweise hat nicht nur einen negativen Einfluss auf die Absorption von Baicalin, sondern reduzierte im Tierversuch auch die kurativen Effekte des Flavonoids. [Zhou et al., 2009] Bei Patienten, die sich einer Lithium-Therapie unterziehen, ist zu beachten, dass die Lithium-Dosis eventuell wegen der harntreibenden Wirkung des Baikal-Helmkrauts verringert werden muss. Die sedative Wirkung von Alkohol kann durch Baikal-Helmkraut verstärkt werden. Das Gleiche gilt für Medikamente mit sedativen Eigenschaften, z.B. ZNS-Depressiva wie Benzodiazepine und Barbiturate. Hier ist größte Vorsicht geboten, denn es kann zu additiven therapeutischen Effekten und zu Nebenwirkungen kommen. Das gilt auch für Kräuter  und NEM mit beruhigender Wirkung, wie z.B. Baldrian, Hopfen, Johanniskraut, Katzenminze, Kava Kava, 5-HTP und andereIn jedem Fall sollte vor der Einnahme von Baicalin ein Arzt oder Fachmann konsultiert werden, der mögliche unerwünschte Interaktionen ausschließen kann. Schwangere und Stillende sollten von der Einnahme generell absehen.



In einigen Produkten, die Baikal-Helmkraut enthielten, wurden Verunreinigungen mit einer dem Baikal-Helmkraut sehr ähnlichen Pflanze gefunden. Gamander (Teucrium) ist bekannt dafür, Leberschäden hervorrufen zu können. Baicalin in pharmazeutischer Qualität scheint – zumindest auf dem europäischen Markt – nicht leicht zu bekommen zu sein. Wünschenswert wäre auch die Entwicklung einer Nanoemulsion, um die Bioverfügbarkeit des Flavonoids zu erhöhen. [Zhao et al. 2013]

Zu einer wirksamen Dosierung gibt es nur wenige Daten mit unterschiedlichen Angaben. Eine Patentanmeldung von Baicalin zur Behandlung von Angstzuständen empfiehlt eine orale Dosis von 0,8-3,5mg/kg. [Xue et al., 2004] Das entspricht einer Dosis von 48-210mg bei einer 60-kg-Person. Ein Fachbuch für komplementäre Onkologie empfiehlt die orale Gabe von Baicalin in einer Dosierung von 20mg/kg pro Tag. [Hübner, 2008] Das wären bei einer 60-kg-Person 1200mg. Eine amerikanische Website schlägt 500mg/Tag vor. ME-Patienten, die Baicalin bereits längere Zeit einnehmen, berichten von gut verträglichen Dosierungen zwischen 750-1000mg. Um allergische Reaktionen auszuschließen, sollte die Einstiegsdosis von 250mg aber auf keinen Fall überschritten werden. Synergistische Effekte lassen sich mit einer zusätzlichen Gabe von Zink erzielen (cave: die Obergrenze der Gesamttagesdosis inkl. Nahrung von 25mg einhalten!) und mit Mitteln, die die natürliche Lymphdrainage fördern wie etwa Lymphomyosot. [Keim et al., 2013]

Was gilt es noch zu beachten? ME-Patienten haben durchaus mit Nebenwirkungen zu rechnen, beispielsweise mit Immunreaktionen. Das ist nicht verwunderlich, weil Baicalin ein natürliches antiretrovirales Therapeutikum ist. Auch bei synthetischen antiretroviralen Medikamenten kann es zu Immunreaktionen kommen, im schlimmsten Fall zum Immunrekonstitutionssyndrom, vor allem auch bei den schwerer betroffenen Patienten mit einer fortgeschrittenen Immundefizienz. [Hoffmann, 2012] Das bedeutet, dass das Medikament – bzw. im Fall von Baicalin das pflanzliche Pulver – seine Wirkung entfaltet, indem es das brachliegende Immunsystem wieder anschaltet, das dann auf die bereits vor Behandlungsbeginn latent vorhandenen opportunistischen Erreger reagiert. Diese wiederum machen sich durch vermehrte Entzündungszeichen bemerkbar. Eine Immunreaktion kann beispielsweise durch Symptome wie Schüttelfrost, Fieber, Husten, Halsschmerzen und (meist kurzfristige) Schmerzverstärkung (neuropathische Schmerzen, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen usw.) zutage treten.

Falls es zu einer solchen Immunreaktion kommt, sollte man u.U. die Einnahme für einen oder mehrere Tage unterbrechen, um dann, wenn die Symptome abgeklungen sind, die Behandlung mit Baicalin – mit einer zunächst niedrigeren Dosierung – wieder fortzusetzen.



Fazit: Baicalin ist kein Wundermittel. Es ist beileibe nicht so potent wie synthetische Reverse-Transkriptase-Hemmer. Dennoch lassen sich mit Baicalin möglicherweise schrittweise Zustandsverbesserungen erreichen. Solange Behandlungsstudien zur Wirksamkeit antiretroviraler Therapie (ART) bei Myalgischer Enzephalomyelitis (nahezu) utopisch sind und ME-Patienten kaum einen Arzt finden, der ihnen ART im Off-Label-Use verschreibt, solange HIV-Ärzte fehlen, die bereit wären, die antiretrovirale Therapie kompetent zu unterstützen, und solange die entsprechenden Medikamente wegen offiziell fehlender Indikation keine Kassenleistung sind, stellt Baicalin womöglich eine preisgünstige Alternative dar, die einen Versuch wert sein könnte.

Hinweis: Bevor Sie mit einer Baicalin-Behandlung beginnen, holen Sie bitte den Rat Ihres behandelnden Arztes ein. Bitte beachten Sie, dass Baicalin bei vielen Medikamenten, die Patienten mit ME oder "CFS" häufig verschrieben werden, kontraindiziert ist. Um nur einige von ihnen zu nennen: Dazu gehören z.B. nichtsteroidale Entzündungshemmer (NSAID) wie u.a. Ibuprofen oder ASS usw., trizyklische Antidepressiva wie z.B. Amitriptylin, selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI), selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI), alle Schlaf- und Beruhigungsmittel, Zolpidem, Rivotril, Modafinil, Protonenpumpenhemmer, Hydrocortison, Fentanyl, einige Antihistaminika, einige Makrolidantibiotika u.a.m. Bevor Sie sich für eine Baicalin-Behandlung entscheiden, gleichen Sie bitte unbedingt anhand dieser Tabelle ab, ob die Medikamente, die Sie einnehmen, bei Baicalin kontraindiziert sind. Ich verweise an dieser Stelle ausdrücklich auch auf meinen Disclaimer.


*Siehe Website des Gesundheitszentrums für Traditionelle Chinesische Medizin und Naturheilkunde 

*Reverse Transkriptasen sind Enzyme, die von Viren mit RNA-Genom, wozu auch humane Retroviren gehören, für die Umschreibung ihrer RNA in DNA benötigt werden. Bestimmte DNA-Viren, wie z.B. das Hepatitis-B-Virus, verwenden ebenfalls reverse Transkriptase.

*Ein Aglycon ist der zuckerfreie Anteil einer chemischen Verbindung nach der Spaltung aus einem Glykosid. Als Glycoside werden zuckerähnliche Pflanzeninhaltsstoffe bezeichnet, die im sekundären Pflanzenstoffwechsel eine Rolle spielen.

*Opportunistische Infektionen sind zusätzliche Infektionen, die sich bei Menschen mit Primärerkrankungen, die mit einem geschwächten Immunsystem einhergehen, ausbreiten.

*Die hauptsächlich in der Leber vorzufindenden Cytochrom-P450-Proteine können körperfremde Substanzen wie z.B. Arzneimittel, Nahrungs- und Genussmittel, Gewürze oder Kräuter als Substrat umsetzen oder Einfluss auf die Enzymaktivität nehmen. Enzyminhibition hemmt den Abbau der körperfremden Substanz, Enzyminduktion beschleunigt ihn. Das bedeutet, dass die Wirkung des Arzneimittels entweder verstärkt oder aber vermindert oder sogar aufgehoben wird.

*Auf der Website der Indiana University ist eine Tabelle der Medikamente, die über das Cytochrom-P450-System metabolisiert werden

*Zu Wechselwirkungen mit Kräutern und Gewürzen und allgemeinen Warnhinweisen siehe z.B. diese Website  und diese


Literatur, chronologisch:

 

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Bildnachweise:

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