Montag, 21. September 2015

Lufthunger!


Lufthunger ist ein Symptom, das wohl den meisten ME-Patienten nur allzu bekannt sein dürfte. Je schwerer die Erkrankung, desto häufiger scheint dieses Phänomen, das auch als Luftnot, Atemnot, Kurzatmigkeit, mühsame Atmung, Dyspnoe oder Atemlosigkeit umschrieben wird, aufzutreten. Dieses Symptom gehört zu den ME-typischen Beeinträchtigungen in Energieproduktion und –transport, und zwar zur Unterkategorie der respiratorischen Störungen. Es ist eines der als besonders unangenehm empfundenen Symptome, weil es angsteinflößend sein kann und bei manchen Patienten sogar einen Panikanfall auslöst.

Die gute Nachricht ist, dass es ein kleines Wundermittel dagegen gibt und das auch noch gratis!
Doch der Reihe nach. Denn zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, wodurch dieser Lufthunger entsteht und welche physiologischen Vorgänge dahinterstecken.

ME-Patienten haben oft das subjektive Gefühl, nicht genügend Luft, nicht ausreichend Sauerstoff zu bekommen. Sie spüren aber auch, dass ihre Glieder und das Gewebe tatsächlich sauerstoffunterversorgt sind und reagieren auf den Mangel mit betont tiefen Atemzügen, mit Gähnen, Seufzen, Hüsteln und Luftschlucken oder aber auch mit einer flachen, schnellen Atmung.

Doch die schnelle Atmung durch den Mund und ebenso auch das tiefe Atemholen führen zu zahlreichen unangenehmen und beeinträchtigenden Symptomen wie Schwindel, Benommenheit, Zittern, Sehstörungen, Blähungen, Aufstoßen, Bauchschmerzen, Schluckstörungen, Muskelkater, Muskelzucken, Muskelspasmen, Krämpfen, Missempfindungen, Kribbeln und Taubheit der Hände und Füße und rund um den Mund herum, zu Panikattacken und sogar Ohnmachtsanfällen. Viele ME-Patienten können auch über ein lebhaftes Traumgeschehen und Albträume berichten und nicht wenige wachen häufiger mal mit eingeschlafenen Gliedern oder mit verkrampften Händen in der sogenannten „Pfötchenstellung“ auf.


 

Diese Symptome werden durch Hyperventilation ausgelöst, die bei ME-Patienten auch im Schlaf auftritt. Die gesteigerte Atemtätigkeit führt zu einer gesteigerten Lungenbelüftung. Dadurch erhöht sich der Sauerstoffgehalt des Blutes, während der Kohlendioxidgehalt sich vermindert, was zu den aufgezählten Symptomen führen kann. Die Verminderung des Kohlendioxidgehaltes im Blut bewirkt nämlich, dass sich der Sauerstoff fester an das Hämoglobin in den roten Blutkörperchen bindet, was den Sauerstofftransport ins Gewebe verschlechtert.

Um aber den Sauerstofftransport ins Gewebe zu verbessern, muss man weniger einatmen und mehr ausatmen, obwohl das subjektive Gefühl genau das Gegenteil suggeriert. Es klingt also zunächst paradox. Doch erst die Normalisierung der Kohlendioxidkonzentration sorgt für eine Verbesserung der Sauerstoffversorgung des Gewebes.

Eine zu niedrige Konzentration hingegen lässt den ph-Wert des Bluts ansteigen und verursacht eine sogenannte respiratorische Alkalose. Weil durch die gesteigerte Atmung zu viel Kohlendioxid abgegeben wird, steigt der ph-Wert des Bluts auf über 7,45 an, was dann eine Verringerung des Kohlenstoffdioxidpartialdrucks (pCO2) unter 35 mmHG mit sich bringt. Dieses als Hypokapnie bekannte Phänomen führt zu einer Verengung der Gefäße im Gehirn. Die Gefäßverengung hat eine Minderdurchblutung zur Folge, die wiederum eine mangelnde Versorgung des Gewebes mit Sauerstoff nach sich zieht und zum Beispiel Benommenheit, kognitive Dysfunktionen, geistige Erschöpfung, Schmerzen, Panikattacken verursachen kann. Allesamt Symptome, die den ME-Patienten nur allzu geläufig sind!

Eine Blutgasanalyse würde bei vielen der schwerer an ME-Erkrankten eine solche respiratorische Alkalose offenbaren. Man wird bei ihnen feststellen können, dass der ph-Wert erhöht und pCO2 erniedrigt ist. ME-Kranke sind alkalotisch, zumindest die schwerer Betroffenen. Dabei müssen die Patienten nicht einmal Anzeichen eines akuten schweren Hyperventilationsanfalls erkennen lassen, obwohl auch der hin und wieder vorkommen kann. Doch meistens haben die ME-Patienten mit den unspezifischeren, nichtsdestotrotz unangenehmen und behindernden Symptomen einer chronischen Hyperventilation zu kämpfen.

Wie kann man aber die Sauerstoffversorgung des Gewebes verbessern?

Die amerikanische Ärztin und ME-Spezialistin Jamie Deckoff-Jones schwört auf hohe Dosen gepulster normobarer und hyperbarer Sauerstoffzufuhr. D.h. die Sauerstoffkonzentration wird verringert durch Zufuhr von Kohlendioxid (normobare Hypoxie) im Wechsel mit der Zufuhr von hyperbarem Sauerstoff (hyperbare Oxygenierung, HBO). Über eine Atemmaske wird dabei abwechselnd sauerstoffarme Luft, die sogenannte dünne Höhenluft, und sauerstoffreiche Luft eingeatmet. Die sauerstoffarme Luft regt den Körper an, vermehrt rote Blutkörperchen zu bilden. Dadurch verbessern sich die Sauerstoffaufnahme, der Sauerstofftransport zum Gewebe und die Sauerstoffverwertung in den Zellen.

Die intermittierende Hypoxie, wie dieses Verfahren auch genannt wird, trägt zur Regeneration und Aktivierung der „Kraftwerke“ der Zellen, der Mitochondrien, bei. Leistungsfähige Mitochondrien sind die entscheidende Voraussetzung für einen gesunden Stoffwechsel, da alle wichtigen Stoffwechselprozesse wie Fett-, Energie-, Eiweiß- und Kohlenhydratstoffwechsel über die Mitochondrien abgewickelt werden.
Neben der Verbesserung der mitochondrialen Funktion kann sich diese Therapie auch positiv auf das Immunsystem und Entzündungsprozesse auswirken.

Auch Dr. Paul Cheney, Zeuge der ME-Epidemie am Lake Tahoe, verschrieb Sauerstofftherapie, nachdem er einen Referenten auf einer internationalen Konferenz in London seinen Vortrag mit der Feststellung einleiten hörte, „CFS“-Patienten seien alkalotisch. Dieselbe Beobachtung hatte Cheney schon seit Jahren in seiner Praxis gemacht, ihr jedoch weiter keine Bedeutung zugemessen.

Aber obwohl viele seiner Patienten diese Therapie als hilfreich empfanden, wurde sie ihnen auf die Dauer zu teuer und zu umständlich und bei manchen Patienten blieb der positive Effekt nach ein paar Monaten Behandlung aus. Nicht lange nach Einführung dieser Therapie entdeckte Cheney auch schon ihren Schwachpunkt: Die Alkalose lässt den 2,3-Bisphosphoglycerat-Spiegel (2,3-BPG) absinken, ein Problem, das sich auch durch seine Sauerstofftherapie nicht beheben ließ, ja, zuweilen sogar durch sie noch verschärft wurde, nämlich dann, wenn die Patienten versehentlich zuviel Sauerstoff inhaliert hatten. 2,3-BPG sorgt dafür, dass der ans Hämoglobin gebundene Sauerstoff freigegeben wird und ins Gewebe eindringen kann. Zu wenig 2,3-BPG verhindert die Abgabe von Sauerstoff an die Zellen. Diese Sauerstoffunterversorgung lässt den Körper auf einen anäroben Stoffwechsel umschalten, mit der Folge einer schmerzhaften Übersäuerung des Gewebes, was wiederum die Alkalose verstärkt, die dann den 2,3-BPG-Spiegel noch weiter absinken lässt. Ein Circulus vitiosus!




Doch wie kann man nun den 2,3-BPG-Level anheben, um den Sauerstofftransport vom Blut ins Gewebe zu gewährleisten?

Schauen wir uns an, wie Sportler ihre körperliche Leistungsfähigkeit steigern. Sportler machen sich die Anpassungsleistung des Körpers an den Sauerstoffmangel der Höhenluft zunutze. Denn beim Höhentraining gleicht der Körper den niedrigen Sauerstoffgehalt der dünnen Luft durch Anhebung des 2,3-BPG-Spiegels aus, so dass mehr Sauerstoff im Körper freigesetzt wird. Wenn diese Sportler dann ihre Wettbewerbe in den Niederungen antreten, sind ihre Körper immer noch auf die Höhenluftverhältnisse eingestellt, weshalb ihr Gewebe im Vergleich zu dem anderer Sportler, die kein Höhentraining absolviert haben, mit Sauerstoff geflutet ist.

Inspiriert vom Höhentraining der kenianischen Marathonläufer besann sich Dr. Cheney auf eine 3000 Jahre alte Methode, die Sauerstoffversorgung zu optimieren. Es handelt sich um eine einfache Atemübung aus der Yogatechnik, die dem Körper ein Höhenklima vorgaukelt, was eine Anhebung unseres 2,3-BPG-Levels und damit einen verbesserten Sauerstofftransport ins Gewebe bewirkt.

1.     Atmen Sie vier Sekunden durch die Nase ein
2.     Halten Sie Ihren Atem sieben Sekunden an
3.     Atmen Sie acht Sekunden durch Ihre fest geschürzten Lippen, die so einen Gegendruck erzeugen, aus
4.     Praktizieren Sie das viermal hintereinander, zweimal täglich, jeden Tag

Halt, stopp!
Bevor Sie mit dem Training beginnen, gebe ich Ihnen ein paar Tipps mit auf den Weg. So simpel diese Atemübung auf den ersten Blick wirkt, kann man doch einiges dabei falsch machen, was dazu führen wird, dass Sie diese Übung als ungeeignet verwerfen werden. Als jemand, der 20 Jahre als Schauspielerin und fast 15 Jahre lang als Sprechtechniktrainerin und Auftrittscoach gearbeitet hat und über dementsprechend viel Erfahrung mit den Problemen, die bei der Vermittlung von Atemtechniken entstehen können, verfügt, bin ich nicht verwundert, dass diese Atemübung in Patientenkreisen weitgehend unbekannt ist, denn hier wird – ohne weitere Erklärung – zuviel an Basiswissen über Atemtechnik vorausgesetzt.

Viele Menschen, egal ob gesund oder krank, sind sich nicht darüber bewusst, ob sie mithilfe von Brust- oder Bauchatmung atmen. Da wir in aller Regel die Atmung nicht bewusst steuern, lassen wir sie einfach geschehen, den Körper also das machen, was er gewohnt ist zu tun. Für diese Übung benötigen wir jedoch die Bauchatmung, denn wenn wir hier die Brustatmung einsetzen würden, könnten wir leicht ins Hyperventilieren geraten. Doch die Anforderungen eines stressigen Alltags haben viele die Bauchatmung verlernen lassen, so dass die Notwendigkeit besteht, sie wieder in Erinnerung zu rufen.

Untersuchen wir zunächst, was mit unserem Atem passiert, wenn wir uns zur Ruhe legen. Legen Sie sich dazu auf den Rücken, Beine ausgestreckt, Arme parallel neben den Körper und schließen Sie Augen. Lassen Sie nun den Atem ganz passiv in die Nase ein- und ausströmen. Lassen Sie die Atmung einfach geschehen. Vergessen Sie bitte die Worte „atmen“, „Atemholen“, „Luftholen“ und „einatmen“. Lassen Sie einfach nur ganz unspektakulär die Luft durch die Nase ein- und ausströmen. Beobachten Sie dabei dennoch aufmerksam, was beim Einströmenlassen der Luft und was beim Ausströmenlassen mit Ihrem Körper passiert. In welchem Bereich bewegt sich etwas in Ihrem Körper? Ändert sich der Bereich, wo sich etwas bewegt, wenn Sie allmählich zur Ruhe gekommen sind? In welche Richtung bewegt sich was beim Einströmenlassen und in welche beim Ausströmenlassen der Luft?

Viele von Ihnen werden unmittelbar nach dem Hinlegen die Erfahrung machen, dass sich zunächst hauptsächlich der Brustkorb beim Ein- u. Ausströmenlassen der Luft hebt und senkt. Doch wenn Sie dann zur Ruhe gekommen sind, verlagert sich das Atemgeschehen in den Bauch. Beim Einströmenlassen hebt sich dann die Bauchdecke und beim Ausströmenlassen senkt sich die Bauchdecke. Eine banale Erkenntnis, doch für die in Atemtechniken Ungeübten eine wertvolle Erkenntnis und es wird eine Zeitlang brauchen, bis auch der Körper „begriffen“ und sich diesen Vorgang als Automatismus „einverleibt“ hat.

Machen Sie die Atemübung also erst dann, wenn Sie zur Ruhe gekommen sind. Beginnen Sie immer aus der sogenannten Atemmittellage heraus. Das bedeutet nichts weiter, als nie extra nach Luft zu schnappen und immer den Atem durch die Nase kommen zu lassen. Auch Dr. Sarah Myhill, die britische Expertin für mitochondriale Dysfunktionen, empfiehlt, stets durch die Nase zu atmen, langsamer zu atmen und weniger tief einzuatmen.

Diejenigen, die Probleme haben, eine Lippenspannung herzustellen – und das sind erfahrungsgemäß gar nicht so wenige –, können einfach „Hasenzähnchen“ machen, so dass beim Ausblasen der Luft der Reibelaut „fffffff“ zu hören ist. So entsteht automatisch ein Gegendruck. Oder Sie pressen die Zungenspitze hinter Ihre oberen Schneidezähne, was den gleichen Effekt hat.





Allen Ungeübten rate ich, die Übung abzukürzen, denn es könnte Sie überfordern, sieben Sekunden lang die Luft anzuhalten und acht Sekunden lang auszuatmen. Sie sollten die Übung auch nicht gleich achtmal hintereinander machen, sondern allenfalls zweimal. Steigern Sie das Training ganz langsam und auch erst dann, wenn es Sie nicht mehr so viel Kraft kostet. Als Faustregel gilt, wenn Sie sich wohl mit der Übung fühlen, können Sie nach etwa einem Monat täglichen Trainings bis zu maximal acht Atemzyklen hintereinander durchführen. Wenn Sie merken, dass Ihnen die Übung gut tut, dürfen Sie dann auch mehrmals täglich eine Trainingseinheit absolvieren.

1.     Lassen Sie alle Luft aus dem Mund mit einem „Whoosh“ heraus
2.     Lassen Sie die Luft zwei Sekunden durch die Nase einströmen (Bauch füllt sich mit Luft)
3.     Halten Sie Ihren Atem drei Sekunden an
4.     Lassen Sie die Luft vier Sekunden durch Ihre fest geschürzten Lippen, die so einen Gegendruck erzeugen, ausströmen (Bauch wird immer flacher, bis er ganz einzogen ist)
5.     Praktizieren Sie das höchstens zweimal hintereinander, zweimal täglich, jeden Tag

Vergessen Sie nicht, Ihren Bauch wieder „loszulassen“, wenn Sie alle Luft abgeatmet haben, so dass er automatisch wieder nach vorne schnellt. Während der Bauch nach vorne schnellt, beginnt bereits die Einströmphase, also beginnen Sie dabei schon mit dem Sekundenzählen. Wenn Sie alles richtig gemacht haben, werden Sie kein Schwindelgefühl verspüren. Sollte Ihnen ein bisschen schwindlig sein, so ist das auch kein Drama. In diesem Fall haben Sie nicht genügend Luft abgeatmet. Umschließen Sie Mund und Nase mit beiden Händen und atmen Sie eine Zeitlang in Ihre hohlen Hände hinein, bis das Schwindelgefühl nachgelassen hat.
 
Sie können diese Übung immer und überall machen, nur bitte nicht in gekrümmter Haltung, weil dann der Bauch eingeklemmt und damit die Bauchatmung behindert wird. Sie können dabei also entweder liegen oder aufrecht sitzen oder aufrecht stehen.
Trainieren Sie bitte nie mit vollem Bauch! Lassen Sie nach einer kleinen Mahlzeit mindestens 1-1 ½ Stunden, nach einer Hauptmahlzeit 2-3 Stunden verstreichen, bevor Sie mit dem Atemtraining beginnen.

Aber was tun, wenn Sie nicht zur Ruhe kommen können? Wenn das Herz rast oder Sie schon kräftig am Hyperventilieren sind? 

Gegen Anfälle von Herzrasen empfiehlt die Kinderkardiologie der Charité, das Herz „zu erschrecken“, und zwar beispielsweise mit der „Bauchpresse: Tief Einatmen, Luft anhalten, Zwerchfell nach unten drücken wie beim Stuhlgang und Pressen“. [1]




Wenn Sie unruhig sind und ständig das Bedürfnis verspüren, tief Luft zu holen, andauernd gähnen, seufzen, hüsteln oder rülpsen müssen, oder auch wenn Sie flach und schnell durch den Mund atmen, dann atmen Sie, wie beschrieben, in Ihre hohlen Hände hinein, die sowohl Mund als auch Nase bedecken sollten. Auf diese Weise reduzieren Sie die Sauerstoffaufnahme und atmen stattdessen Ihr abgeatmetes Kohlendioxid wieder ein. Das können Sie so lange machen, bis sich Ihr Atem beruhigt hat, denn – anders als beim Benutzen einer Plastiktüte – ist diese Methode völlig harmlos.

Ob die unwillkürliche Geste, sich entsetzt, erschrocken oder freudig überrascht die Hände vors Gesicht zu schlagen, die auch als Redewendung Eingang in unsere Sprache gefunden hat, eine Art Selbstberuhigungsreflex sein könnte, um die aufgeregte Atmung zu stoppen? Eine rein spekulative Überlegung. Sie dürfen aber auch ohne emotionalen Anlass diese Methode ruhig öfter mal anwenden, denn mit diesem Trick beruhigen Sie ihre Atmung und erzeugen künstlich ein Höhenklima.

Doch auch bei täglichem Training wird es etwa zwei bis drei Monate dauern, bis sich Ihre 2,3-BPG-Level angepasst haben und Sie von einer besseren Sauerstoffversorgung profitieren werden. Wenn Sie die Atemübung regelmäßig machen, wird sich der Sauerstofftransport aber nach und nach verbessern ebenso wie der zelluläre Energielevel. Eine bessere Sauerstoffversorgung hilft dem Körper darüber hinaus, Kandidosen und andere Pathogene in Schach zu halten. Auch dem Anschwellen des Gehirns wegen Sauerstoffmangels kann auf diese Weise vorgebeugt werden.  

Dr. Andrew Weil, Professor der Medizin an der Universität von Arizona und ein Vertreter der Integrativen Medizin, hält diese Atemübung sogar für eine der wirkungsvollsten Behandlungen chronischer Krankheiten. Dem Vergleich mit einer professionellen intermittierenden Hypoxie-Behandlung via Atemmaske hält sie offenbar stand, denn sie ist einfacher zu handhaben, sie kostet nichts und ist effektiver, und man kann dabei nicht versehentlich eine Überdosis Sauerstoff abbekommen.

Denn hyperbarer Sauerstoff kann auch schlimme Folgen für manch einen ME-Patienten haben. Eine Überdosierung kann beispielsweise den Patienten – laut Dr. Cheney – auf dem Operationstisch ins Jenseits befördern. Nach Cheneys Auffassung sollte Sauerstoff nicht in die Zellen transportiert werden, wenn diese keine effektive Verteidung gegen eines seiner Abfallprodukte zur Verfügung haben. Als Abfallprodukte entstehen neben Kohlendioxid freie Sauerstoffradikale, die, wenn sie überhand nehmen, oxidativen Stress auslösen und Zellstrukturen, Eiweiße und Erbinformation schädigen. Wenn unser Körper nicht genügend Radikalfänger – Antioxidantien – bilden kann, was bei der Krankheit überwiegend der Fall ist, sind wir diesen freien Radikalen schutzlos ausgeliefert. So wird deutlich, dass eine künstliche Zufuhr von hyperbarem Sauerstoff eventuell auch Gefahren mit sich bringen könnte. Doch das alles kann bei der vorgestellten Selfmade-Methode nicht passieren, denn sie stärkt die mitochondrialen Funktionen, ohne sie versehentlich dabei zu beschädigen.

(Dr. Deckoff-Jones teilt übrigens Dr. Cheneys These, ME-Patienten litten unter Sauerstofftoxizität, nicht. Sie vertritt die Auffassung, milde hyperbare Oxygenierung sei von großem Nutzen und sehr risikoarm, wenn man bei der Handhabung von Profis angeleitet würde. Selbst wenn mehr freie Radikale als üblich durch die Behandlung produziert würden, sei diesem Problem mit der Verabreichung von Antioxidantien gut beizukommen. Hier wäre z.B. u.a. die Verabreichung von N-Acetyl-L-Cystein und S-Acetylglutathion, einer stabilen Form des Glutathions, das den Magen-Darm-Trakt unversehrt passieren und vollständig vom Blut aufgenommen werden kann, denkbar.)

Um einem etwaigen Missverständnis zuvorzukommen: Dieses Atemtraining ist kein Wundermittel gegen ME und es wird Sie leider nicht kurieren. Aber es könnte helfen, Ihren Lufthunger zu reduzieren, die Symptome der respiratorischen Alkalose zu lindern, die Atmung zu erleichtern und vielleicht bei einigen Patienten sogar dauerhaft zu verbessern, die Sauerstoffaufnahme in den Zellen zu optimieren und den Symptomen der Hyperventilation präventiv zu begegnen. Es kann Ihnen also möglicherweise auf Dauer einen guten Dienst erweisen, doch nur einige wenige Glückliche werden durch regelmäßiges Training eventuell ihr Energielevel wieder ein wenig anheben können, ihr Nervensystem beruhigen, ihre Schlafqualität verbessern, Blutdruck und Herzschlagrate günstig beeinflussen und ihre Verdauung unterstützen können.

Ein letzter Tipp: Bevor Sie sich ins Atemtraining stürzen und meinen Empfehlungen folgen, lesen Sie sich bitte noch einmal den Disclaimer durch und holen Sie den Rat Ihres behandelnden Arztes ein!

[1] Zitiert aus „Herzrasen“, Website der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Kardiologie, Charité  

Literaturverzeichnis:

1 Dr. Cheney's Oxygen Treatment
2 Paul R. Cheney:  Oxygen Toxicity as a Locus of Control for Chronic Fatigue Syndrome
http://forums.prohealth.com/forums/index.php?threads/cheney-oxygen-toxicity-may-determine-outcome-in-cfs.195806/
3 Dr. Jamie Deckoff-Jones: Oxygen Primer
4 Dr. Jamie Deckoff-Jones: More Oxygen
5 Dr. Jamie Deckoff-Jones: Recovery post-XMRV
6 Mikie: Dr. Cheney's Breathing Technique
7 Dr. Sarah Myhill: Hyperventilation – makes you feel as if you can`t get your breath
8 Carol Sieverling: DR. CHENEY: Increase Your Oxygen Intake
9 Dr. Andrew Weil: Breathing Exercises: 4-7-8 Breath
10 Margaret Williams: Klimas, Wessely and NICE: Redefining CBT? 10th November 2006  
http://www.meactionuk.org.uk/Klimas_Wessely_and_NICE_-_Redefining_CBT.htm 

Bildnachweise:

Johann Heinrich Füssli, Nachtmahr, www.commons.wikimedia.org
Jacek Malczewski, Der Teufelskreis, www.commons.wikimedia.org
Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus, Detail, www.commons.wikimedia.org
Eugène Delacroix, Vor dem Blitz scheuendes Pferdwww.commons.wikimedia.org 

Katharina Voss, Copyright 2015




  
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