Wie
in allen anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen auch, wo Menschen aus den
verschiedensten Gründen auf ein Wunder warten, so wird auch in der ME-Community
alle naslang eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Baicalin heißt das aktuelle
Zauberwort, das einen rosa Hoffnungsschimmer auf die bleichen Wangen der
Erkrankten zu hauchen vermag.
Baicalin ist
ein Hauptbestandteil des Baikal-Helmkrauts (lateinischer Name
Scutellaria baicalensis Georgi). Aus der Familie der Lippenblütengewächse und
ursprünglich in Sibirien beheimatet, verbreitete sich das Baikal-Helmkraut bis nach China, wo es unter dem Namen Huang
Quin eine lange Tradition als Heilpflanze in der Chinesischen Medizin hat.
Es wird seit Jahrtausenden u.a. zur Behandlung von Durchfall, Ruhr, Gelbsucht,
Fieber, Kopfschmerzen, Husten, Auswurf, Blutungen und Blasendysfunktion
eingesetzt.*
Die mittlerweile auf
der ganzen Welt kultivierte Pflanze enthält mehrere im Labor wissenschaftlich
gut untersuchte Inhaltsstoffe; es gibt auch Tierexperimente zu einigen der Komponenten,
Studien am Menschen sind aber leider bislang rar. Den verschiedenen pflanzlichen
Extrakten wird u.a. eine antivirale,
antibakterielle, antibiotische, antiinflammatorische, antioxidative, antiallergene,
antikarzinogene, krampflösende, fiebersenkende, Blutungen stillende,
beruhigende, angstlösende, blutdruck- und cholesterinspiegelsenkende Wirkung nachgesagt. [Eskin, Tamir, 2005]
Hier
wollen wir uns auf Studien mit dem Flavonoid Baicalin fokussieren,
unter besonderer Berücksichtigung seiner potenziellen Wirkungsweise bei
Patienten mit Myalgischer Enzephalomyelitis.
Erst kürzlich entsann sich Dr.
Judy Mikovits, die unermüdlich all
ihre Kraft dafür einsetzt, unserer vernachlässigten Patientenpopulation zu
einer wirksamen Behandlung zu verhelfen, einer ihrer
Forschungsarbeiten aus dem Jahr 2000 über Baicalin
als Wirkstoff gegen HIV-1. Judy Mikovits ist eine innovative Zell- und Molekularbiologin, die
über 20 Jahre am National Cancer
Institute zu Krebs, Epigenetik, Neuroimmunkrankheiten, Retroviren und HIV
mit dem Schwerpunkt auf der Entwicklung neuer Medikamente und diagnostischer
Technologien geforscht hat. Sie war ehemals Forschungsdirektorin des Whittemore-Peterson-Instituts und leitende
Autorin der XMRV-Studie von 2009, die über retrovirale gag-Sequenzen eines
humanen Gammaretrovirus
in Blutproben ME-Kranker berichtete. [Lombardi et al., 2009] Wie allseits
bekannt, musste diese Studie leider zurückgezogen werden. Denn Mikovits` Co-Autor Robert Silverman hatte ein
"künstliches" XMRV aus
einem aus drei Gewebeproben hergestellten Plasmid erzeugt, das sich dann in der
Zelllinie VP62 vermehrte und – da über die Luft übertragbar [Gazdar et al., 2011] – zu Laborkontaminationen auch der Proben führte, in
denen Mikovits bereits zuvor
retrovirale
gag-Sequenzen entdeckt hatte. Diese Sequenzen wiesen zwar eine
gewisse Verwandtschaft zu XMRV auf, stimmten
jedoch nicht mit dem Laborartefakt XMRV
überein. [Goetz et al., 2014; Heckenlively/Mikovits,
2014]
Grundlage der Idee, Baicalin als Therapeutikum bei ME in Erwägung zu ziehen, ist also
die Annahme einer retroviralen Infektion, zumindest bei einer Untergruppe von ME-Patienten.
Diese Annahme wird durch die Tatsache gestützt, dass bei Patienten der
Originalstudienkohorte von Mikovits et al. Antikörper gegen ein humanes Gammaretrovirus nachgewiesen wurden, was bei einer
Laborkontamination schlechterdings unmöglich wäre. Außerdem haben sich die Einzelfallberichte
von ME-Patienten, die signifikante Verbesserungen unter einer antiretroviralen Therapie erfuhren, mittlerweile weltweit herumgesprochen.
Doch wie funktioniert der Wirkmechanismus
des Flavonoids Baicalin bezüglich
Retroviren? Mikovits`
Forschungsarbeit aus dem Jahr 2000 konnte zeigen, dass Baicalin die HIV-1-Infektion auf der Ebene des viralen Eintritts in
die Zelle verhindert. [Li et al., 2000] Doch Baicalin kann noch mehr, nämlich in vitro die reverse Transkriptase* und damit die
Replikation des Retrovirus stoppen, wie Francis Ruscetti und Kollegen 1993 demonstrierten. [Li et al., 1993] Dass der
Anti-HIV-1-Effekt von Baicalin
offenbar vor allem auf der Hemmung der reversen
Transkriptase beruht, bestätigt ein Papier aus dem Jahr 1998 von Katsuhiku
Kitamura et al. [Kitamura et al., 1998] So wird nicht nur das Eindringen des
Retrovirus in die Zellen verhindert, sondern auch bereits infizierte Zellen
werden durch die Blockierung der Reverse-Transkriptase-Aktivität an der
Freisetzung weiterer Viren aus der Zelle gehindert.
Darüber hinaus kann Baicalin offenbar den selektiven Zelltod stark infizierter
HIV-Zellen mit einer hohen Virusfreisetzungskapazität induzieren und vermag
gleichzeitig die Vermehrung von HIV-infizierten Zellen mit einer niedrigen
Expression des HIV-Genoms zu stimulieren, die eine deutlich geringere Kapazität
hinsichtlich HIV-Produktion aufweisen. Dieser Wirkmechanismus könnte – so legen
die Autoren dieser Studie nahe – die Lebensdauer HIV-Infizierter verlängern. [Wu et al., 1995]
Gilt dieser antiretrovirale
Wirkmechanismus nun aber über HIV-1 hinaus auch für Gammaretroviren, wie sie
Mikovits im Blut von Patienten mit ME gefunden hat? Dazu gibt es
widersprüchliche Angaben. Francis „Frank“ Ruscetti, Mikovits` Mentor und Entdecker des humanen
Retrovirus HTLV-1 (vor seiner Entdeckung hielt man es für
ausgeschlossen, dass humane Retroviren existieren!), wies bereits 1992 nach,
dass Baicalin die Reverse-Transkriptase-Aktivität sowohl
in HTLV-1-infizierten Zellen als auch die des Moloney-Maus-Leukämievirus, ein Virusstamm der murinen Leukämieviren aus
der Gattung der Gammaretroviren,
hemmt. [Baylor et al., 1992]
Im Textbook
of Complementary and Alternative Medicine wird jedoch die Behauptung
aufgestellt, Baicalin blockiere nicht
die reverse Transkriptase muriner Leukämieviren. [Yuan, Bieber,
2003] Auch in der Neuauflage des Buchs, diesmal Traditional Chinese Medicine betitelt, findet sich diese
Behauptung. [Yuan, Bieber, Bauer, 2011]
Baicalein hingegen, eine andere Komponente des Baikal-Helmkrauts, nämlich
das Aglycon*
von Baicalin, wurde bereits 1989 als
potenter Reverse-Transkriptase-Hemmer muriner Leukämieviren (der Rauscher-
und Moloney-Stämme) beschrieben. [Ono
et al., 1989]
Baicalin wird aber, wie eine erst
kürzlich veröffentlichte Studie offenbarte, nach oraler Aufnahme von der Darmflora
schnell in Baicalein umgewandelt. [Wang et al., 2015] Diese
Entdeckung könnte möglicherweise die Diskrepanzen hinsichtlich der
Forschungsergebnisse erklären. Während Baicalin
in vitro womöglich nicht die Reverse-Transkriptase-Aktivität einiger muriner Leukämievirusstämme zu hemmen
vermag, weil es nicht in Baicalein
umgewandelt wird, so wirkt es in vivo
unter dem Einfluss des Mikrobioms, das es in Baicalein umwandelt, womöglich eben doch als Reverse-Transkriptase-Inhibitor.
Bedauerlicherweise ist die Bioverfügbarkeit
von Baicalin relativ gering. [Zhao et
al., 2013] Es konnte aber in vitro
nachgewiesen werden, dass das Spurenelement Zink die Anti-HIV-1-Aktivität
von Baicalin potenzieren kann. [Wang
et al., 2004] Baicalin gekoppelt mit Zink war hinsichtlich Hemmung der
Reverse-Transkriptase-Aktivität und Blockierung des viralen Eintritts in die
Wirtszelle deutlich wirksamer als Baicalin allein. Ein weiterer Vorteil
dieser Verbindung ist ihre geringere Zelltoxizität. (Ein Selbstversuch
bestätigte eine Wirkverstärkung durch Zink; bereits am ersten Tag zusätzlicher
Zinkeinnahme kam es zu einer spürbaren Verbesserung der Beschwerden und nach
zweitägiger Einnahme sogar zu einer starken Immunreaktion mit einem
24-stündigen Fieberschub ohne weitere Krankheitsanzeichen.)
Studien zufolge wirkt Baicalin auch gegen zahlreiche Viren, die opportunistische Infektionen*
bei retroviral Infizierten verursachen. Auch Patienten, deren Erkrankung keine
mutmaßliche retrovirale Infektion zugrundeliegt, die jedoch an anderen akuten
viralen oder postviralen chronischen Erkrankungen leiden, könnten von Baicalin profitieren. Denn diesem
„Alleskönner“ wird beispielsweise ein therapeutischer Effekt auf eine
Infektion, die durch das humane Herpesvirus 6 (HHV-6)
ausgelöst wurde, nachgesagt. [Chen et al., 2011] Moderate inhibitorische
Effekte zeigte Baicalin gegen das Herpes
simplex-Virus Typ 1 (HSV-1). [Sy et al., 2005] Eine starke antivirale
Wirkung mit hoher Effizienz und geringer Toxizität erzielte Baicalin in vitro bei einer Enterovirus-71-Infektion,
v.a. im Frühstadium. [Li, Shi et al., 2015] Ebenfalls in vitro wurde nachgewiesen, dass Baicalin effektiv eine Infektion mit Chlamydia trachomatis
hemmen kann. [Hao et al., 2010]
Baicalin
wirkt aber nicht nur antiviral und antiretroviral, sondern
auch symptomlindernd.
So wurde in Tierversuchen sein angstlösendes Potential beschrieben,
[Liao et al., 2003; Xu et al., 2006] ebenso wie antidepressive Effekte. [Zhu
et al., 2006; Li et al. 2013; Yu et al. 2014] In höherer Dosierung hat es eine beruhigende
Wirkung [Wei et al., 2006] und es sorgt für eine bessere Schlafqualität. [Chang
et al., 2011] Auch eine schmerzlindernde Wirkung wurde für Baicalin festgestellt. [Chou et al.,
2003; Cherng et al., 2014] Durch Bindung an eine Vielzahl von Chemokinen wirkt das
Flavonoid entzündungshemmend. [Li, Wang et al., 2000, Chou et al., 2003;
Li, Dong et al. 2012] Baicalin
besitzt auch antiallergische Eigenschaften und kann die Histaminausschüttung
hemmen. [Kim et al., 2010; Jung et al., 2012] Es hat eine neuronale Schutzwirkung
und konnte im Tierversuch die Folgen fokaler zerebraler Minderdurchblutung wie z.B.
Hirninfarkte reduzieren und Hirnschwellungen verringern. [Wang et al., 2006]
Wie bei allen wirksamen synthetischen und
pflanzlichen Medikamenten kann es auch bei Baicalin
zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen. Es existieren zwei Einzelfallberichte
über Leberschäden
und Lungeninfiltrate
durch die Einnahme von Huang Quin. [Teschke et al., 2014] Beide
Fälle nahmen einen guten Ausgang; nach dem Absetzen des Präparats
normalisierten sich die Laborwerte vollständig. Auf welche Komponente der
Zubereitung die Schädigungen zurückzuführen oder ob sie durch Verunreinigungen
verursacht worden waren, blieb ungeklärt.
Die Wirkung von Gerinnungshemmern
(Blutverdünnungsmittel) oder Thrombozytenaggregationshemmern
(z.B. ASS) kann durch Baicalin
gesteigert werden, weshalb von einer gleichzeitigen Einnahme dringend abzuraten
ist. Wegen seiner blutverdünnenden und aggregationshemmenden Eigenschaften sollte Baikal-Helmkraut zwei Wochen vor einer geplanten Operation abgesetzt werden. Das Risiko von Blutungen bei Personen mit Blutgerinnungsstörungen
könnte durch die Einnahme erhöht werden. Einige Kräuter, wie z.B. Engelwurz, Gewürznelke, Knoblauch,
Ingwer, Ginkgo, Panax-Ginseng und andere, könnten ebenfalls das Blutungsrisiko
bei Patienten, die Baicalin
einnehmen, erhöhen. Vorsicht sollten auch Patienten mit niedrigem
Blutdruck walten lassen, da Baikal-Helmkraut
blutdrucksenkend wirkt. Blutdrucksenkende Medikamente
könnten seine Wirkung potenzieren und das Risiko für Hypotension erhöhen. Blutdrucksenkende Kräuter und Nahrungsergänzungsmittel (NEM) wie
beispielsweise Katzenkralle, Theanin, L-Arginin, Coenzym Q10 und Fischöl können
ebenfalls eine additive Wirkung haben und Hypotension verursachen. Patienten, denen Statine zur Senkung des
Cholesterinspiegels oder wegen anderer Indikationen verschrieben wurden,
sollten Baikal-Helmkraut bzw. Baicalin nicht einnehmen, da
es die Plasmakonzentration des Statins senken kann. [Fan et al., 2008] Wie Tierforschungsergebnisse nahelegen, könnte Baikal-Helmkraut – zumindest theoretisch – die Wirkung und
Nebenwirkungen des Antidiabetikums Metformin verstärken. [Waisundara et
al., 2009] Für Diabetiker besteht ein erhöhtes Risiko für hypoglykämische Episoden. Einige Kräuter, wie z.B. Ingwer, Panax Ginseng, sibirischer Ginseng,
Guarkernmehl, Teufelskralle, Bockshornklee u.a., bergen zusätzliches hypoglykämisches Potenzial. Besondere
Vorsicht ist auch geboten, wenn man Hustenblocker mit dem Wirkstoff Dextromethorphan
nimmt, der auch in sehr vielen nicht verschreibungspflichtigen Husten-
und Erkältungssäften/-pastillen enthalten ist. (Eine Übersicht dazu
z.B. auf Wikipedia, Stichwort Dextromethorphan.)
Baicalin hemmt den Stoffwechsel von Dextromethorphan, wodurch sich die
maximale Wirkstoffkonzentration von Dextromethorphan
erhöht. [Tian et al., 2013] Dextromethorphan
wird auch zur Behandlung neuropathischer Schmerzen und von
Störungen der Gefühlsregulation eingesetzt. Eine gleichzeitige Verabreichung
von Baicalin ist kontraindiziert. Da in vitro-Belege zeigen,
dass Baikal-Helmkraut sich auf den Östrogenhaushalt
auswirkt, könnte es – in großer Menge verabreicht – eine Hormonersatztherapie beeinträchtigen. [Zhang et al., 2005] Patienten mit hormonsensitiven Erkrankungen sollten generell von
einer Baicalin-Behandlung absehen. Zu diesen Krankheiten gehören Brust-, Gebärmutter-
und Eierstockkrebs sowie Endometriose und Uterusmyome. Baicalin
darf außerdem bei der Einnahme von Arzneimitteln, die über das Cytochrom-P450-System* metabolisiert werden, nicht verabreicht
werden, weil das Risiko von Nebenwirkungen dieser Medikamente dadurch erhöht
wird und es zu unerwünschten Wechselwirkungen kommen kann.* [Hou et al., 2000] Das
gilt ebenso für manche Nahrungsmittel, Nahrungsergänzungsmittel (NEM), Gewürze oder
Kräuter, die von ME-Patienten oftmals in therapeutischen Dosen konsumiert
werden.* Knoblauch
beispielsweise hat nicht nur einen negativen Einfluss auf die Absorption von
Baicalin, sondern reduzierte im Tierversuch auch die kurativen Effekte des
Flavonoids. [Zhou et al., 2009] Bei Patienten, die sich einer Lithium-Therapie unterziehen, ist zu
beachten, dass die Lithium-Dosis eventuell wegen der harntreibenden Wirkung des
Baikal-Helmkrauts verringert werden muss. Die sedative Wirkung von Alkohol kann durch Baikal-Helmkraut verstärkt werden. Das Gleiche gilt für Medikamente mit sedativen Eigenschaften, z.B. ZNS-Depressiva
wie Benzodiazepine
und Barbiturate.
Hier ist größte Vorsicht geboten, denn es kann zu additiven therapeutischen
Effekten und zu Nebenwirkungen kommen. Das gilt auch für Kräuter und NEM mit beruhigender Wirkung,
wie z.B. Baldrian, Hopfen, Johanniskraut, Katzenminze, Kava Kava, 5-HTP und andere. In jedem Fall sollte vor der Einnahme von Baicalin ein Arzt
oder Fachmann konsultiert werden, der mögliche unerwünschte Interaktionen
ausschließen kann. Schwangere und Stillende sollten von der Einnahme generell
absehen.
In einigen Produkten,
die Baikal-Helmkraut enthielten, wurden Verunreinigungen mit einer dem Baikal-Helmkraut sehr ähnlichen Pflanze
gefunden. Gamander (Teucrium) ist
bekannt dafür, Leberschäden hervorrufen zu können. Baicalin in pharmazeutischer Qualität scheint –
zumindest auf dem europäischen Markt – nicht leicht zu bekommen zu sein.
Wünschenswert wäre auch die Entwicklung einer Nanoemulsion, um die
Bioverfügbarkeit des Flavonoids zu erhöhen. [Zhao et al. 2013]
Zu einer
wirksamen Dosierung gibt es nur wenige Daten mit unterschiedlichen Angaben.
Eine Patentanmeldung von Baicalin zur Behandlung von Angstzuständen empfiehlt
eine orale Dosis von 0,8-3,5mg/kg. [Xue et al., 2004] Das
entspricht einer Dosis von 48-210mg bei einer 60-kg-Person. Ein Fachbuch für komplementäre Onkologie
empfiehlt die orale Gabe von Baicalin in einer Dosierung von 20mg/kg
pro Tag. [Hübner, 2008] Das wären bei einer 60-kg-Person 1200mg. Eine amerikanische Website schlägt 500mg/Tag vor. ME-Patienten,
die Baicalin bereits längere Zeit einnehmen, berichten von gut verträglichen
Dosierungen zwischen 750-1000mg. Um allergische Reaktionen auszuschließen,
sollte die Einstiegsdosis von 250mg aber auf keinen Fall überschritten werden.
Synergistische Effekte lassen sich mit einer zusätzlichen Gabe von Zink erzielen
(cave: die Obergrenze der Gesamttagesdosis inkl. Nahrung von 25mg einhalten!)
und mit Mitteln, die die natürliche Lymphdrainage fördern wie etwa Lymphomyosot. [Keim et al., 2013]
Was gilt es noch zu beachten? ME-Patienten
haben durchaus mit Nebenwirkungen zu rechnen, beispielsweise mit Immunreaktionen.
Das ist nicht verwunderlich, weil Baicalin
ein natürliches antiretrovirales Therapeutikum ist. Auch bei synthetischen
antiretroviralen Medikamenten kann es zu Immunreaktionen
kommen, im schlimmsten Fall zum Immunrekonstitutionssyndrom, vor
allem auch bei den schwerer betroffenen Patienten mit einer fortgeschrittenen Immundefizienz.
[Hoffmann, 2012] Das bedeutet, dass das Medikament – bzw. im Fall von Baicalin das pflanzliche Pulver – seine
Wirkung entfaltet, indem es das brachliegende Immunsystem wieder anschaltet,
das dann auf die bereits vor Behandlungsbeginn latent vorhandenen opportunistischen Erreger reagiert.
Diese wiederum machen sich durch vermehrte Entzündungszeichen bemerkbar. Eine
Immunreaktion kann beispielsweise durch Symptome wie Schüttelfrost, Fieber, Husten,
Halsschmerzen und (meist kurzfristige) Schmerzverstärkung (neuropathische
Schmerzen, Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen usw.) zutage treten.
Falls es zu einer solchen Immunreaktion kommt, sollte man u.U. die
Einnahme für einen oder mehrere Tage unterbrechen, um dann, wenn die Symptome
abgeklungen sind, die Behandlung mit Baicalin
– mit einer zunächst niedrigeren Dosierung – wieder fortzusetzen.
Fazit: Baicalin ist kein Wundermittel. Es ist
beileibe nicht so potent wie synthetische Reverse-Transkriptase-Hemmer.
Dennoch lassen sich mit Baicalin
möglicherweise schrittweise Zustandsverbesserungen erreichen. Solange
Behandlungsstudien zur Wirksamkeit antiretroviraler Therapie (ART)
bei Myalgischer Enzephalomyelitis (nahezu) utopisch sind und ME-Patienten kaum einen
Arzt finden, der ihnen ART im Off-Label-Use
verschreibt, solange HIV-Ärzte fehlen, die bereit wären, die antiretrovirale Therapie
kompetent zu unterstützen, und solange die entsprechenden Medikamente wegen
offiziell fehlender Indikation keine Kassenleistung sind, stellt Baicalin womöglich eine preisgünstige
Alternative dar, die einen Versuch wert sein könnte.
Hinweis:
Bevor Sie mit einer Baicalin-Behandlung beginnen, holen Sie bitte den Rat Ihres
behandelnden Arztes ein. Bitte beachten Sie, dass
Baicalin bei vielen Medikamenten, die Patienten mit ME oder "CFS" häufig verschrieben
werden, kontraindiziert ist. Um nur einige von ihnen zu nennen: Dazu gehören
z.B. nichtsteroidale Entzündungshemmer (NSAID) wie u.a. Ibuprofen oder ASS usw.,
trizyklische Antidepressiva wie z.B. Amitriptylin, selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI), selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI), alle Schlaf- und Beruhigungsmittel, Zolpidem, Rivotril, Modafinil, Protonenpumpenhemmer, Hydrocortison,
Fentanyl, einige Antihistaminika, einige Makrolidantibiotika u.a.m. Bevor Sie
sich für eine Baicalin-Behandlung entscheiden, gleichen Sie bitte unbedingt anhand
dieser Tabelle ab, ob die Medikamente, die Sie einnehmen, bei Baicalin kontraindiziert
sind. Ich verweise an dieser Stelle ausdrücklich auch auf
meinen Disclaimer.
*Siehe Website des Gesundheitszentrums
für Traditionelle Chinesische Medizin und Naturheilkunde
*Reverse Transkriptasen sind Enzyme, die von Viren mit
RNA-Genom, wozu auch humane Retroviren gehören, für die Umschreibung ihrer RNA
in DNA benötigt werden. Bestimmte DNA-Viren, wie z.B. das Hepatitis-B-Virus,
verwenden ebenfalls reverse Transkriptase.
*Ein Aglycon ist der zuckerfreie Anteil einer chemischen Verbindung nach der
Spaltung aus einem Glykosid. Als Glycoside werden zuckerähnliche
Pflanzeninhaltsstoffe bezeichnet, die im sekundären Pflanzenstoffwechsel eine
Rolle spielen.
*Opportunistische Infektionen sind zusätzliche
Infektionen, die sich bei Menschen mit Primärerkrankungen, die mit einem
geschwächten Immunsystem einhergehen, ausbreiten.
*Die
hauptsächlich in der Leber vorzufindenden Cytochrom-P450-Proteine können körperfremde Substanzen wie
z.B. Arzneimittel, Nahrungs- und Genussmittel, Gewürze oder Kräuter als
Substrat umsetzen oder Einfluss auf die Enzymaktivität nehmen. Enzyminhibition
hemmt den Abbau der körperfremden Substanz, Enzyminduktion beschleunigt ihn.
Das bedeutet, dass die Wirkung des Arzneimittels entweder verstärkt oder aber
vermindert oder sogar aufgehoben wird.
*Auf der
Website der Indiana University ist eine Tabelle der Medikamente, die über das Cytochrom-P450-System metabolisiert werden
*Zu
Wechselwirkungen mit Kräutern und Gewürzen und allgemeinen Warnhinweisen siehe z.B. diese Website und diese
Literatur, chronologisch:
Michael Eskin,
Snait Tamir
Dictionary of Nutraceuticals and
Functional Foods, CRC Press 2005, S. 37f.
Lombardi
VC, Ruscetti FW, Das Gupta J, Pfost MA, Hagen KS, Peterson DL, Ruscetti SK,
Bagni RK, Petrow-Sadowski C, Gold B, Dean M, Silverman RH, Mikovits JA Detection of an infectious retrovirus, XMRV, in blood cells of patients with chronic
fatigue syndrome,
Science. 2009
Gazdar,
Adi F et al. Frequent detection of infectious
xenotropic murine leukemia virus (XMLV) in human cultures established from
mouse xenografts, Cancer Biol Ther. 2011
Goetz,
Deborah L. S., Mikovits, Judy A., Deckoff-Jones, Jamie and Ruscetti, Francis W.
INNATE IMMUNE CHANGES IN THE PERIPHERAL
BLOOD OF CHRONIC FATIGUE SYNDROME PATIENTS: RISK FACTORS FOR DISEASE
PROGRESSION AND MANAGEMENT, Chapter VI (pp. 91-130) Chronic Fatigue Syndrome, Nova Science Publishers, Inc. 2014
Heckenlively,
Kent; Mikovits, Judy Plague: One
Scientist's Intrepid Search for the Truth about Human
Retroviruses and Chronic Fatigue Syndrome,
Autism, and Other Diseases, Skyhorse Publishing 2014
Li BQ, Fu T, Dongyan Y, Mikovits JA, Ruscetti FW, Wang JM Flavonoid baicalin inhibits HIV-1
infection at the level of viral entry, Biochem Biophys Res Commun. 2000
Li BQ, Fu T, Yan YD, Baylor NW, Ruscetti FW, Kung HF Inhibition of HIV
infection by baicalin--a flavonoid compound purified from Chinese herbal
medicine, Cell Mol Biol Res. 1993
Kitamura K et al. Baicalin, an inhibitor of HIV-1 production
in vitro, Antiviral Res. 1998
Xiaoshan WU, Hiroyasu AKATSU and
Hidechika OKADA APOPTOSIS OF HIV-INFECTED
CELLS FOLLOWING TREATMENT WITH SHO-SAIKO-TO AND ITS COMPONENTS, Jpn. J.
Med. Sci. Biol. 1995
Baylor NW, Fu T, Yan YD, Ruscetti FW Inhibition of human T
cell leukemia virus by the plant flavonoid baicalin (7-glucuronic acid,
5,6-dihydroxyflavone), J Infect Dis. 1992
Chun-Su
Yuan, Eric J. Bieber Textbook of Complementary
and Alternative Medicine, CRC Press 2003, S. 350
Chun-Su Yuan, Eric Bieber, Brent Bauer Traditional Chinese Medicine, CRC Press 2011,
S. 299
Ono K, Nakane H, Fukushima M, Chermann JC, Barré-Sinoussi F Inhibition of reverse
transcriptase activity by a flavonoid compound, 5,6,7-trihydroxyflavone, Biochem Biophys Res Commun. 1989
Wang CZ, Zhang CF, Chen L, Anderson S, Lu F, Yuan CS Colon cancer
chemopreventive effects of baicalein, an active enteric microbiome metabolite
from baicalin,
Int J Oncol. 2015
Ling Zhao, Yumeng Wei, Yu Huang, Bing He, Yang Zhou, and Junjiang Fu Nanoemulsion improves
the oral bioavailability of baicalin in rats: in vitro and in vivo evaluation, Int
J Nanomedicine, 2013
Wang Q, Wang YT, Pu SP, Zheng YT Zinc coupling
potentiates anti-HIV-1 activity of baicalin, Biochem Biophys Res Commun. 2004
Xi Chen, Chengyi Zhang, Honglan Huang, Yaoyao Li Anti-HHV-6
action of Baicalin in vitro, Human Health
and Biomedical Engineering 2011
Lyu SY, Rhim JY, Park WB Antiherpetic
activities of flavonoids against herpes simplex virus type 1 (HSV-1) and type 2
(HSV-2) in vitro, Arch Pharm Res. 2005
Xiang Li, Yuanyuan Liu, Tingting Wu, Yue Jin, Jianpin Cheng, Changbiao Wan, Weihe Qian, Fei Xing, and Weifeng Shi The Antiviral Effect
of Baicalin on Enterovirus 71 In Vitro,
Viruses 2015
Hao H, Aixia Y, Lei F, Nancai Y, Wen S Effects of baicalin on Chlamydia trachomatis
infection in vitro, Planta Medica 2010
Jyh-Fei Liao, Wen-Yuan Hung, Chieh-Fu Chen Anxiolytic-like effects of baicalein and baicalin in the Vogel conflict
test in mice, European Journal of Pharmacology 2003
Zhiwen Xu, Feng Wang, Shui Ying Tsang, Kwan Hang Ho,
Hui Zheng, Chun Tak Yuen, Chun Yin Chow, Hong Xue Anxiolytic-Like
Effect of Baicalin and its Additivity with other Anxiolytics, Planta Med 2006
Weili Zhu, Shiping Ma, Rong Qu, Dali Kang & Yadong Liu Antidepressant Effect
of Baicalin Extracted from the Root ofScutellaria
baicalensis. in Mice and Rats, Pharmaceutical Biology 2006
Yu-Cheng Li, Ji-Duo Shen, Jing Li, Rui Wang, Shuo Jiao, Li-Tao Yi Chronic treatment with baicalin prevents the chronic mild stress-induced
depressive-like behavior: Involving the inhibition of cyclooxygenase-2 in rat
brain, Progress in Neuro-Psychopharmacology and Biological Psychiatry
2013
Hai-Yang Yu, Zhu-Jun Yin, Shui-Jin Yang, Shi-Ping Ma Baicalin reverse AMPA receptor expression and
neuron apoptosis in chronic unpredictable mild stress rats, Biochemical and Biophysical Research
Communications 2014
Xiuyan Wei, Jingyu Yang, Chunfu Wu Anxiolytic Effect of Baicalin in Mice, Asian
Journal of Traditional Medicines 2006
Chang HH, Yi PL, Cheng CH, Lu CY, Hsiao YT, Tsai YF, Li CL, Chang FC
Biphasic effects of baicalin, an active
constituent of Scutellaria baicalensis Georgi, in the spontaneous sleep-wake
regulation, J Ethnopharmacol. 2011
Chou, Tz-Chong et al. The Antiinflammatory and Analgesic Effects of Baicalin in
Carrageenan-Evoked Thermal Hyperalgesia, Anesthesia & Analgesia 2003
Chen-Hwan Cherng et al. Baicalin ameliorates neuropathic pain by suppressing HDAC1 expression in
the spinal cord of spinal nerve ligation rats, Journal of the Formosan Medical
Association 2014
Li BQ, Fu T, Gong WH, Dunlop N, Kung H, Yan Y, Kang J, Wang JM The flavonoid
baicalin exhibits anti-inflammatory activity by binding to chemokines, Immunopharmacology 2000
Chou, Tz-Chong et al. The Antiinflammatory and Analgesic Effects of Baicalin in
Carrageenan-Evoked Thermal Hyperalgesia, Anesthesia & Analgesia 2003
Li L, Bao H, Wu J, Duan X, Liu B, Sun J, Gong W, Lv Y, Zhang H, Luo Q, Wu X, Dong J Baicalin is
anti-inflammatory in cigarette smoke-induced inflammatory models in vivo and in
vitro: A possible role for HDAC2 activity, Int Immunopharmacol. 2012
Kim DS, Son EJ, Kim M, Heo YM, Nam JB, Ro JY, Woo SS Antiallergic herbal composition from Scutellaria baicalensis
and Phyllostachys edulis, Planta Medica 2010
Hyuk-Sang Jung et al. Antiallergic effects of Scutellaria
baicalensis on inflammation in vivo and in vitro, Journal of Ethnopharmacology 2012
WANG
Li-ya, ZHANG Zhan-jun, WANG Zhong et al. Effect
on Therapy and Expression of Caspase-3 of Baicalin in Rats with Cerebral
Ischemia, Tianjin
Journal of Traditional Chinese Medicine 2006
Teschke,
R., Wolff, A., Frenzel, C. and Schulze, J. Review
article: herbal hepatotoxicity – an update on traditional Chinese medicine
preparations, Alimentary Pharmacology & Therapeutics 2014
Fan Let al. The
effect of herbal medicine baicalin on pharmacokinetics of rosuvastatin,
substrate of organic anion-transporting polypeptide 1B1, Clin Pharmacol Ther. 2008
Waisundara VY, Hsu A, Tan BK, Huang D
Baicalin reduces mitochondrial damage in
streptozotocin-induced diabetic Wistar rats, Diabetes Metab Res Rev. 2009
.
Tian X, Cheng ZY,He J, Jia LJ, Qiao HL Concentration-dependent
inhibitory effects of baicalin on the metabolism of dextromethorphan, a dual
probe of CYP2D and CYP3A, in rats, Chem Biol Interact. 2013
Zhang CZ, Wang SX, Zhang Y, Chen JP, Liang XM
In vitro estrogenic activities of Chinese medicinal
plants traditionally used for the management of menopausal symptoms, J Ethnopharmacol. 2005
Hou YN, Zhu XY, Cheng GF Effects of baicalin on liver microsomal cytochrome P450 system, Yao Xue Xue Bao. 2000
Jue Zhou, Fan Qu, Yongping Yu,
and Rui Nan
Whether Co-Administration of Garlic has Negative
Influence on Scutellaria Baicalensis Georgi in Treating Models Rats with Pelvic
Inflammation?, Afr J Tradit Complement Altern Med. 2009
Ling Zhao, Yumeng Wei, Yu Huang, Bing He, Yang Zhou, and Junjiang Fu Nanoemulsion improves the oral bioavailability of baicalin in rats: in vitro and in vivo evaluation, Int J Nanomedicine, 2013
Xue et al. New Use of Baicalin for Treating Anxiety, WO/2004/103386, 2004
Jutta Hübner Komplementäre
Onkologie: supportive Maßnahmen
und evidenzbasierte Empfehlungen, Schattauer Verlag 2008, S. 261
Alex P. Keim
et al. The Multicomponent Medication Lymphomyosot
Improves the Outcome of Experimental Lymphedema, Lymphat Res Biol.
2013
Christian Hoffmann Immunrekonstitutionssyndrom (IRIS),
hivbuch.de 2012 http://hivbuch.de/2012/01/11/immunrekonstitutionssyndrom-iris/
Bildnachweise:
Gustav Klimt, Medizin, www.commons.wikimedia.org
Felix Nussbaum, Das Geheimnis, www.commons.wikimedia.org
Thomas Cole, Lake with Dead Trees, www.commons.wikimedia.org
Ernst Ludwig Kirchner, Selbstbildnis als Kranker, www.commons.wikimedia.org
Max Liebermann, Der Chirurg Ferdinand Sauerbruch, www.commons.wikimedia.org
Claude Monet, Sonnenaufgang, www.commons.wikimedia.org
Katharina
Voss, Copyright 2016