Freitag, 5. Mai 2017

Ian Lipkin – Der große Virusjäger stapelt Backsteine

Viele ME-Patienten leiden immer wieder unter gastrointestinalen Beschwerden. Sie klagen über Übelkeit, Bauchschmerzen, Bauchkrämpfe, Blähungen, Durchfall und Verstopfung. Nahrungsmittelintoleranzen, Kohlehydratverwertungsstörungen, Malabsorptionen, Leaky Gut Syndrom (durchlässiger Darm) und Reizdarmsyndrom (Irritable-Bowel-Syndrome) sind bei ihnen häufige Begleiterscheinungen.

Nun hat sich Ian Lipkin, der gefeiertste Virusjäger der Welt, über die Kloschüsseln „ME/CFS“-Kranker* hergemacht und im Trüben gefischt. Seine Studie untersuchte die Beziehungen zwischen Darmmikrobiom, bakteriellen Stoffwechselwegen und Plasma-Zytokin-Profilen bei Erkrankten und gesunden Kontrollen. Dabei wurden sowohl „ME/CFS“-Patienten mit als auch Patienten ohne IBS (Irritable Bowel Syndrome = Reizdarmsyndrom) untersucht. Die Studie zeigte, dass die Darmflora der Patienten sich von der gesunder Kontrollen signifikant unterscheidet, und zwar durch das relativ häufige Vorkommen von sieben Bakteriengattungen. Faecalibacterium, Roseburia, Dorea, Coprococcus, Clostridium, Ruminococcus und Coprobacillus waren stark assoziiert mit „ME/CFS“. Die relative Häufigkeit, mit der die Kombination dieser Bakterien bei den Patienten auftrat, machte die Diagnose vorhersagbar.



Die Patientengruppe mit IBS wies andere Top-Biomarker auf als die ohne IBS. „ME/CFS“-Patienten mit IBS hatten erhöhte Konzentrationen von nicht klassifizierten Alistipes und verringerte Faecalibacterium-Level, während bei den Patienten ohne IBS erhöhte Werte von nicht klassifizierten Bacteroides und verminderte Werte von Bacteroides vulgatus festgestellt wurden.

Ein Gruppenvergleich zeigte geringere Unterschiede zwischen „ME/CFS“-Patienten ohne IBS und gesunden Kontrollen als zwischen „ME/CFS“-Patienten mit IBS und Gesunden. Ein Vergleich der „ME/CFS“-Gruppe ohne IBS mit der „ME/CFS“-Gruppe mit IBS offenbarte größere Unterschiede als die zwischen gesunden Kontrollen und „ME/CFS“-Probanden ohne IBS festgestellten, aber ähnlich starke Unterschiede wie zwischen Kontrollgruppe und „ME/CFS“-Patienten mit IBS. Folglich gab es zwischen den beiden „ME/CFS“-Untergruppen genauso viele Unterschiede wie zwischen den Kontrollen und den „ME/CFS“-Patienten mit IBS und sogar noch größere Unterschiede innerhalb der Untergruppe mit IBS. Insgesamt besaßen die „ME/CFS“-Patienten hinsichtlich ihrer Darmflora also eine größere Variationsbreite als die Kontrollpersonen und die Patienten mit komorbidem IBS wiesen die größte Variationsbreite innerhalb ihrer Gruppe auf.

Ob die Studienteilnehmer aber IBS hatten oder nicht, das Mikrobiom der „ME/CFS“-Kranken unterschied sich signifikant von dem gesunder Kontrollen. Die größten Unterschiede waren bei den „ME/CFS“-Probanden mit IBS festzustellen.

Auch bei den bakteriellen Stoffwechselwegen gab es Unterschiede zwischen den beiden „ME/CFS“-Untergruppen. Aber trotz dieser Unterschiede und trotz unterschiedlicher bakterieller Zusammensetzung des Darmmikrobioms wurde bei beiden „ME/CFS“-Untergruppen unabhängig von der IBS-Komorbidität eine reduzierte Biosynthese ungesättigter Fettsäuren und erhöhter Atrazinabbau nachgewiesen. Eine erhöhte Vitamin B6-Biosynthese und Pyrimidin-Ribonukleosidabbau markierten die Top-Stoffwechselwege von „ME/CFS“-Patienten ohne IBS sowie auch von der gesamten „ME/CFS“-Kohorte.

Ian Lipkin et al. kamen zu dem Ergebnis, dass „ME/CFS“ unabhängig von einer IBS-Komorbidität mit Dysbiose – einem Ungleichgewicht von verschiedenen Darmbakterien – und mit signifikanten bakteriellen Stoffwechselstörungen assoziiert ist, die auch die Schwere der Erkrankung beeinflussen können. Obwohl auch Abweichungen bei den Plasma-Zytokin-Profilen gefunden wurden, reichten diese nicht aus, um die Erkrankten eindeutig von den Kontrollen unterscheiden zu können. Zwei frühere Studien der Autorengruppe um Ian Lipkin waren diesbezüglich zu anderen Ergebnissen gekommen. Sie hatten erhöhte pro- und antiinflammatorische Zytokinspiegel (wie z.B. TNFα) im Plasma und in der Zerebrospinalflüssigkeit von „ME/CFS“-Patienten gefunden. Die Teilnehmer dieser Studien waren allerdings erst kurze Zeit erkrankt, weshalb Lipkin et al. sich in der aktuellen Kohorte die uneinheitlichen Abweichungen bei den Immunmarkern, die nicht eindeutig zwischen den Gruppen differenzieren konnten, mit dem Mangel an „ME/CFS“-Fällen, die noch nicht so lange erkrankt sind, erklärten.


Mehr Haruspexe – Maureen Hanson und Dane Cook




Neu ist aber die Erkenntnis, dass ME bzw. „CFS“ mit Dysbiose assoziiert ist, nicht. Bereits 2016 wiesen Maureen Hanson et al. eine verarmte Darmflora bei „ME/CFS“-Patienten nach. Im Vergleich zu gesunden Kontrollen war bei den Patienten eine geringere Bakterienvielfalt im Darm feststellbar. Insbesondere entzündungshemmende Bakterienarten waren vermindert; proinflammatorische Bakterienarten wurden dagegen vermehrt in den Stuhlproben gefunden.

Die Studienergebnisse von Hanson et al. legten eine anhaltende Schädigung der Darmschleimhaut nahe. Spezielle erhöhte Entzündungswerte im Blut der Patienten gaben demzufolge einen deutlichen Hinweis auf mikrobielle Translokation. Eine beschädigte (undichte) Darmschleimhaut ermöglicht dabei den Übertritt von Mikroben aus dem Darm ins Blut. Die Translokation könnte Immunreaktionen bei den Patienten auslösen und Symptome, die mit Entzündungen in Zusammenhang stehen, verstärken, schrieben die Autoren. Die bei der Analyse der Stuhl- und Blutproben verwendeten Marker konnten mit einer Trefferquote von fast 83% die „ME/CFS“-Patienten identifizieren. Somit könnten sie als Biomarkerkandidaten in Frage kommen.

Eine andere im Jahr 2015 erschienene Studie ging der Frage nach, ob die ME/“CFS“-typische Verschlechterung der Symptomatik nach körperlicher Belastung auf erhöhte bakterielle Translokation zurückzuführen ist. Die Autoren um Dane Cook fanden im Darm von Patienten, die einen Belastungstest absolviert hatten, signifikante Veränderungen die Fülle von Hauptbakterienstämmen betreffend, die nicht bei gesunden Kontrollen beobachtet wurden. Darüber hinaus verzögerte sich nach körperlicher Belastung die Beseitigung von Bakterien aus dem Blut (durch das Immunsystem) im Vergleich zu Kontrollen. Diese Ergebnisse deuteten darauf hin, dass ein verändertes Darmmikrobiom und eine erhöhte bakterielle Translokation nach körperlichen Anstrengungen für die Zustandsverschlechterung nach Belastung verantwortlich sein könnten.


Was unter dem Teppich gehalten wird




Für die Resultate all dieser Forschungsbemühungen müssten die Patienten eigentlich dankbar sein. Doch die Mikrobiom-Forschung von Spitzenwissenschaftlern wie Ian Lipkin und Maureen Hanson ist insofern irritierend, als die ihre Ergebnisse nicht in einen Kontext mit ihren Retrovirusfunden bei ME-Patienten stellen. Maureen Hanson entdeckte 2011 im Blut von ME-Patienten – einer Kohorte aus dem Bundesstaat New York – MLV-ähnliche* gag-Sequenzen mit infektiösem Potential. [Hanson 2011] Ian Lipkin teilte 2013 auf einer Telefonkonferenz mit, bei 85% der von ihm untersuchten Blutproben einer ME-Patientengruppe Hinweise auf Retroviren gefunden zu haben. „We also found retroviruses in 85% of the sample pools“, sagte er damals, vermochte allerdings nicht zu sagen, ob dieser Fund von klinischer Bedeutung sei. Er ließ sich sogar zu der unwissenschaftlichen Bemerkung hinreißen, er würde darauf wetten, dass diese Retroviren keine Rolle bei der Krankheitsgenese spielen.*

Noch verstörender wirkt Lipkins und Hansons Distanzierung von ihren Retrovirusfunden nun im Zusammenhang mit der Erforschung des Mikrobioms von ME- bzw. „CFS“-Patienten. Denn Darmdysbiose und bakterielle Translokation ist auch mit anderen Retrovirusinfektionen verknüpft, z.B. mit dem Fortschreiten einer HIV-Infektion, wie zahlreiche Studien belegen. Doch auf diese Parallele mögen beide Wissenschaftler nicht hinweisen. Und statt seinem Retrovirusfund – also einer möglichen Ursache – nachzugehen, studierte Lipkin lieber die Anomalien der Immunmarker, die mit Retroviren assoziiert sind, ohne jedoch auf diesen Zusammenhang Bezug zu nehmen. [Hornig et al. 2015] Dabei hatte er bereits 2011 von einer abweichenden Immunsignatur bei „ME/CFS“-Patienten gehört, und zwar von Judy Mikovits, die darüber bei einer Lipkin-Präsentation an der New York Academy of Sciences berichtete. [Mikovits 2017] Im selben Jahr hatte sie nämlich eine Studie zu veränderten Immunmarkern bei „CFS“-Patienten, die retroviral infiziert und XMRV-positiv getestet worden waren, veröffentlicht. [Lombardi et al. 2011] 


Was für eine seltsame wissenschaftliche Vorgehensweise also von Lipkin und Hanson, isolierte Fakten zusammenzutragen und alles, was diese Fakten eventuell miteinander verbinden könnte, unter den Tisch fallen zu lassen! „Wissenschaft besteht aus Fakten wie ein Haus aus Backsteinen, aber eine Anhäufung von Fakten ist genauso wenig Wissenschaft, wie ein Stapel Backsteine ein Haus ist“, schrieb der französische Mathematiker und Astronom Henri Poincaré. Doch Forscher wie Lipkin und Hanson stapeln derzeit leider nur Backsteine. Auf ein Fundament, Konstruktion und Statik scheinen sie verzichten zu wollen. Das ist nicht gerade nobelpreisverdächtig. Was aber noch schlimmer ist: Es schadet den Patienten u.U. mehr, als es ihnen nutzt, weil auf diese Weise von möglichen Ursachen abgelenkt wird.


Noch mehr Backsteine




Ein weiteres Beispiel für diese Art von „Um-den-heißen-Brei-Forschung“ ist auch Lipkins erst kürzlich erschienene Studie, die zwischen klassischen und atypischen „ME/CFS“-Fällen unterscheidet. Als atypische Fälle galten hier z.B. Patienten, die nach einer Auslandsreise oder Bluttransfusion erkrankten, und/oder später im Verlauf ihrer Erkrankung weitere schwere Krankheiten entwickelten, wie beispielsweise atypische MS und Autoimmun-/Entzündungsstörungen, Anfallsleiden, das Golfkriegssyndrom oder eine Reihe von Krebsarten. Die Analyse der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit beider Gruppen zeigte unterschiedliche Zytokin-Profile, wobei das der atypischen Patienten schwelende entzündliche Prozesse vermuten ließ, während das der klassischen Patienten auf eine Autoimmunprozesse auslösende Immunaktivierung hindeutete. 

Für die Früherkennung ernster Folgeerkrankungen könnten die Resultate dieser Studie in der Tat nützlich sein. Denn wenn Patienten mit einer atypischen Immunsignatur in Zukunft häufiger auf Krebs und andere Krankheiten untersucht werden würden, könnte man einige ansonsten tödliche Krankheitsverläufe womöglich verhindern. Voraussetzung dafür wäre aber, dass alle ME-Patienten auf Veränderungen ihres Immunprofils getestet werden. Das müsste in regelmäßigen Abständen geschehen, zumindest aber spätestens drei Jahre nach Erkrankungsbeginn, nämlich zu dem Zeitpunkt, wo Zytokin-Konzentrationen bei den atypischen Fällen auf anhaltend erhöhtem Niveau bleiben oder sogar noch ansteigen und nicht wie bei den klassischen Fällen einbrechen. Ein solches Screening ist aber leider kein realistisches Szenario. Weil ein Immunprofil jedoch nichts Statisches ist und sich im Laufe der Erkrankung verändert, wäre es – wenn man die Resultate der Studie ernstnehmen will – dennoch notwendig.

Darüber hinaus fragt man sich aber, was die Unterteilung in atypisches und klassisches „ME/CFS“ eigentlich bringen soll. Dass Krebs- und Autoimmunerkrankungen viel häufiger als in der Allgemeinbevölkerung bei ME-Patienten anzutreffen sind (übrigens auch bei den Angehörigen ME-Kranker!), ist hinlänglich bekannt. Auch dass ME durch Bluttransfusionen übertragbar ist, ist nichts Neues. Und Tausende von Patienten erkranken nach Auslandsaufenthalten an ME, nicht zuletzt deshalb, weil sie auf ihren Reisen mit fremden Pathogenen konfrontiert werden, die den Ausbruch von ME triggern können. Die einer ME vorangehenden Ereignisse sind mannigfaltig und demzufolge ist ein Großteil der Erkrankten atypisch. Deshalb gibt es keinen triftigen Grund, Patienten, die die gleichen Krankheitskriterien erfüllen, in Untergruppen einzuteilen, die die Unterschiede herausarbeiten, anstatt die Gemeinsamkeiten zu betonen. Will man nicht wieder an einzelnen Symptomen oder Symptomgruppen herumdoktern, wie es bislang wenig erfolgreich, aber doch noch bestenfalls gehandhabt wird, braucht man für die Entwicklung einer Therapie, die an der Krankheitsursache ansetzt, einen gemeinsamen Nenner.


 Viele Schubladen – eine Kommode!




Apropos Krankheitskriterien – das ist das Stichwort, das uns wieder zu Lipkins Mikrobiom-Studie zurückführt. Was Studien wie die von Lipkin et al. so angreifbar macht, ist die konstante Weigerung dieser Forscher, saubere Patientenkohorten aufzustellen. Ihre Teilnehmer erfüllten entweder die Fukuda-Kriterien und/oder die Kanadischen Konsenskriterien (CCC), die jeweils unterschiedliche Krankheitsbilder beschreiben. Diese Krankheitsdefinitionen sind also nicht kompatibel; das Hauptkriterium der Fukuda-Definition ist Fatigue (Müdigkeit), aber eine zwingende Verknüpfung mit muskulärer und kognitiver Erschöpfbarkeit nach Belastung und mit Myalgien, wie in den CCC gefordert, gibt es nicht. (Zum Thema Krankheitsdefinitionen siehe auch die Kommentare des ME-Aktivisten Jerrold Spinhirne hierhier und hier. Siehe auch diesen Blogpost dazu und diesen.) Bei den Patienten, die nach den „CFS“-Kriterien von Fukuda et al. diagnostiziert wurden, ist also nicht einmal gewiss, ob sie überhaupt tatsächlich an ME erkrankt sind oder aber an einer anderen, nicht identifizierten Krankheit oder auch an einer Depression mit Müdigkeit als Begleitsymptom.

Wer aber Untergruppen in einer Gesamtkohorte aufspüren will, der muss erst einmal seine Patienten nach einer streng gefassten Krankheitsdefinition auswählen oder aber von vornherein Gruppen bilden, die sich durch verschiedene Krankheitsdefinitionen klar voneinander abgrenzen lassen. Wobei man sich im letzteren Fall die Frage stellen muss, ob man dann nicht eigentlich verschiedene Krankheiten untersucht. Soll das krampfhafte Bemühen, Untergruppen ausfindig zu machen, also von einer gemeinsamen (infektiösen) Ursache weglenken?

Und spricht man etwa von atypischem HIV, weil sich bei 30% der frisch angesteckten HIV-Patienten die Infektion atypisch – entweder gänzlich asymptomatisch, symptomarm oder aber mit sehr schweren Erkrankungen – manifestiert? Haben Infizierte mit atypischer Primoinfektion etwa eine andere Krankheitsursache? Nein, die Ursache ihrer Krankheit ist HIV, genauso wie bei allen anderen HIV-Infizierten! Würde man HIV-Patienten nach ihren jeweiligen Infektionswegen und/oder nach ihren unterschiedlichen infektiösen und nicht-infektiösen Komorbiditäten in verschiedene Schubladen stecken – wie es im Übrigen zu der Zeit, als man die Ursache für HIV noch nicht kannte, geschah –, blieben sie dennoch alle miteinander HIV-Patienten. Denn die Ursache ihrer Krankheit bleibt trotz unterschiedlicher Manifestationen dieselbe: HIV.


Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom




Noch skeptischer stimmt aber Lipkins Vorstoß in Richtung IOM-Definition, auf die er in der Mikrobiom-Studie Bezug nimmt und deren Kriterien er dort zitiert. Denn bei dieser sehr weit gefassten Definition spielen fast ausschließlich nicht objektivierbare Symptome und vor allem auch wieder Müdigkeit eine zentrale Rolle. Schlimmer noch, sie erfordert keine psychiatrische Ausschlussdiagnose, weshalb die Prävalenzraten sprunghaft steigen werden. Der Psychiater Dr. Leonard Jason zeigte, wie die Fukuda-Prävalenzrate von 0,42% um das 2,8-fache mit den neuen IOM-Kriterien ansteigt. Eine solche Vermischung von Patientenpopulationen ist für die Forschung ein Desaster, und man stellt sich mit wachsendem Unbehagen die Frage, weshalb Forscher wie Lipkin et al., deren Arbeiten man bislang in die Kategorie biomedizinischer Forschung eingeordnet hat, sich nun offenbar anders orientieren und seit geraumer Zeit nicht mehr von einer Krankheit, sondern von einer Störung sprechen. Schwenken sie um auf die psychopathologisierende Mainstream-Forschung? Dienen sie sich der Politik von HHS, NIH und CDC an, weil sie um ihre Forschungsgelder fürchten?

 

Und nicht nur das: Ian Lipkin et al. zitieren in ihrer Mikrobiom-Studie ganz unverfroren Peter Henningsen, den Psychosomatiker, der den deutschen ME-Patienten das Leben zur Hölle macht – als Autor und als Gutachter! Sie machen sich sogar Henningsens Sichtweise zu eigen, indem sie „ME/CFS“ in die Reihe sogenannter funktioneller somatischer Syndrome einordnen! * Das ist umso perfider, als die Studie über das Microbe Discovery Project zu einem nicht geringen Teil von Patienten gesponsert wurde. Wie lange wollen sich die Patienten noch zum Besten halten lassen?

 

Das Gebot der Stunde: Witterung aufnehmen!




Halten wir fest: ME-Patienten haben Dysbiose – wie HIV-Patienten. Sie entwickeln nicht-infektiöse Folgekrankheiten  wie HIV-Patienten. Sie leiden an opportunistischen Infektionen – wie AIDS-Kranke. Bei ihnen wurde das Anello-Virus im Blut gefunden – wie bei HIV-Patienten, deren Infektion zum Vollbild einer AIDS-Erkrankung voranschreitet. Demzufolge sind ME-Patienten immundefizient – wie AIDS-Patienten. Sie haben einen massiven Mangel in der Epstein-Barr-Virus-spezifischen Antwort der Gedächtnis-B- und T-Zellen – ähnlich wie der Mangel an EBV-Gedächtnis-Antworten HIV-Infizierter. ME-Patienten haben oft erhöhte HHV-6-Antikörper, was auf eine Immunschwäche hinweist – ebenso wie bei HIV-Infizierten. Sie haben starke neurologische und neurokognitive Probleme – wie HIV-Infizierte. Partner von ME-Patienten haben mit 3,2% eine erhöhte Prävalenz – wie Partner von HIV-Infizierten. ME tritt in Epidemien und Clustern auf und hat sich in den letzten 30 Jahren zu einer Pandemie entwickelt – wie HIV. Und last but not least im Blut von ME-Patienten wurden Retroviren gefunden – wie bei HIV-Infizierten. 

Angesichts dieser Fakten fragt man sich, wie lange Wissenschaftler sich noch erlauben können, Backsteine zu stapeln, statt ein solides Haus zu bauen oder besser noch jagen zu gehen? Welchen Motivationsanreiz braucht jemand wie Lipkin denn noch, um sich endlich einer konsequenten Ursachenforschung widmen und das vermeintlich „große Rätsel“ um diese Leben vernichtende Krankheit lösen zu können?! Muss man den großen Virusjäger nun zum Jagen tragen?


Der ME-Patientin Vanessi Li gewidmet, die vor mehr als zwei Jahren von uns ging, nachdem sie für das Microbe Discovery Project eine enorme Summe gesammelt hatte.


*In der Studie wird die Bezeichnung „ME/CFS“ verwandt.

* MLV = murine leukemia virus (Das Murine Leukämievirus oder Maus-Leukämie-Virus ist ein Virus aus der Gattung der Gammaretroviren.)

* Ian Lipkin, zitiert in Fleming, Russel „Transcript: Ian Lipkin – CDC Telephone Broadcast Conference 10 September 2013“.

*„Indeed, there is symptom overlap between IBS and other functional somatic syndromes, including ME/CFS and fibromyalgia syndrome [5].“


Literatur:

Giloteaux L, Goodrich JK, Walters WA, Levine SM, Ley RE, Hanson MR „Reduced diversity and altered composition of the gut microbiome in individuals with myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome“, Microbiome 2016.

Hanson MR, Lee LL, Lin L, Bell DE, Ruppert D, Bell DS „Detection of MLV-like gag sequences in blood samples from a New York state CFS cohort“, Retrovirology 2011.

Hornig M, […], Lipkin WI “Distinct plasma immune signatures in ME/CFS are present early in the course of illness”, Science Advances 2015.

Hornig M, Gottschalk CG, Eddy ML, Che X, Ukaigwe JE, Peterson DL, Lipkin WI "Immune network analysis of cerebrospinal fluid in myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome with atypical and classical presentations", Translational Psychiatry 2017.

Lombardi VC, Hagen KS, Hunter KW, Diamond JW, Smith-Gagen J, Yang W, Mikovits JA "Xenotropic Murine Leukemia Virus-related Virus-associated Chronic Fatigue Syndrome Reveals a Distinct Inflammatory Signature", In Vivo 2011.

Mikovits JA „A Note from Judy Mikovits, PhD“, xiii, Vorwort der Paperback-Ausgabe von Heckenlively, Kent; Mikovits, Judy Plague: One Scientist's Intrepid Search for the Truth about Human Retroviruses and Chronic Fatigue Syndrome, Autism, and Other Diseases, Skyhorse Publishing 2014/2017.

Nagy-Szakal D, Williams BL, Mishra N, Che X, Lee B, Bateman L, Klimas NG, Komaroff AL, Levine S, Montoya JG, Peterson DL, Ramanan D, JainK, Eddy ML, Hornig M, Lipkin WI "Fecal metagenomic profiles in subgroups of patients with myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome", Microbiome 2017.

Shukla SK, Cook D, Meyer J, Vernon SD, Le T, Clevidence D, Robertson CE, Schrodi SJ, Yale S, Frank DN "Changes in Gut and Plasma Microbiome following Exercise Challenge in Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS)", PLOSone 2015.


Bildnachweise:

Albert Bierstadt, Lake Tahoe – Spearing Fish by Torchlight, www.commons.wikimedia.org
Sigismund von Dobschütz, Aborte, CC BY-SA 3.0, www.commons.wikimedia.org
Heinz-Josef Lücking, Handstrichziegel, Detail, CC BY-SA 3.0 de, www.commons.wikimedia.org 
Gustave Courbet, Steinhauer, www.commons.wikimedia.org
Aurélie Troccon & Manon Mauguin, Commode galbée, Musée des Hospices Civils de Lyon, CC-BY-SA 4.0, 
www.commons.wikimedia.org
Francisco de Goya, Naturaleza muerta con Dorada, www.commons.wikimedia.org
Albert Bierstadt, In the Forest, www.commons.wikimedia.org


Katharina Voss, Copyright 2017