Montag, 21. August 2017

Forschung: Setzt Mark Davis zum Quantensprung an?



Während sich in Deutschland die politisch Verantwortlichen für die Forschungsmisere in Bezug auf „ME/CFS“ offenbar nicht zuständig fühlen, dreht sich anderswo auf der Welt das Forschungsrad munter weiter. Und statt dass das Rad, wie leider schon allzu oft, nur durchdreht, die Forschung auf der Stelle tritt, haben wir es dieses Mal womöglich mit einem Quantensprung zu tun.




Mark Davis, Professor für Immunologie an der renommierten Stanford University, hat auf einem Symposion über seine Arbeit zur Identifizierung von Anomalien des Immunsystems bei „ME/CFS“-Patienten berichtet. Seine noch nicht veröffentlichten Daten zeigen, dass „ME/CFS“-Kranke ebenso wie Krebs-, Lyme- und MS-Patienten eine erhöhte Anzahl von CD8-Zellen aufweisen. CD8-Zellen sind T-Zellen, die sich während einer Infektion vermehren, um Viren und andere Krankheitserreger abzuwehren. Bei seinen gesunden Kontrollen waren dementsprechend keine erhöhten CD8-Zellen festzustellen.

Davis setzt für seine Forschung innovative Technologie ein, mit deren Hilfe er den starken Beweis für die Immunaktivierung bei den Betroffenen entdeckte. Das Ergebnis seiner Untersuchungen ist offenbar sehr viel überzeugender als die Zytokin-Studien zu „ME/CFS“, weil die Zytokin-Abweichungen bei den Erkrankten weniger eindeutig ausfallen.

Inzwischen ist Davis bereits auf der Suche nach dem Auslöser der Immunaktivierung – wiederum unter Zuhilfenahme neuer Technologien. Er fahndet nach spezifischen Antigenen (Antigene – z.B. Proteine, die vom Immunsystem erkannt werden – generieren Antikörper). Er hat sogar bereits einen Kandidaten im Visier, will aber, bevor er weitere Details preisgibt, seine Erkenntnisse genauer überprüfen.

Spannend bleibt also die Frage nach dem Trigger der Immunaktivierung. Im besten Fall könnte Mark Davis` Forschung den krankheitsverursachenden Erreger dingfest machen oder – im Falle es handelt sich doch um eine Autoimmunkrankheit, wogegen allerdings das epidemische Auftreten spricht – den Mechanismus einer fehlgeleiteten Immunantwort offenlegen. Mit der Identifizierung des auslösenden Pathogens oder Antigens würden sich dann auch Behandlungsperspektiven für die Patienten eröffnen.

Auch hier drängen sich wieder interessante Parallelen zur HIV-Forschung auf. Bei einer HIV-Infektion werden die CD8 T-Zellen sowohl in der akuten als auch in der chronischen Phase stark aktiviert. Zu Beginn der Infektion ist die CD8 T-Zellantwort sehr stark. Dadurch wird das HI-Virus zur Mutation gezwungen. Es bildet sogenannte Escape-(Flucht-)Mutationen aus, die es dem Virus ermöglichen, sich auch weiterhin zu vermehren.

Doch mit Fortschreiten der Infektion verliert die CD8 T-Zellantwort an Wirksamkeit und eine Immunerschöpfung tritt ein. Nach den Ursachen dieser Immunerschöpfung wird zur Zeit noch intensiv geforscht. Diskutiert werden viele Faktoren wie das Virus selbst, die massive Immunaktivierung und hemmende Faktoren wie etwa bestimmte Rezeptoren und Zellen. Ungeklärt ist bislang auch, ob das HI-Virus ursächlich für die starke Immunaktivierung verantwortlich ist, oder ob die Immunaktivierung die Virusreplikation sogar anheizt.

Ob aber bei der Myalgischen Enzephalomyeltis ebenfalls die Wirksamkeit der CD8 T-Zellantwort im Verlauf der Erkrankung nachlässt und damit dann eine der HIV-Infektion vergleichbare Immunerschöpfung einhergeht, bliebe jedoch noch zu erforschen.




Wenn man von vielversprechenden Forschungsvorhaben wie diesem von Mark Davis liest, fragt man sich unwillkürlich, wie lange sich die Entscheidungsträger in unserem Land den internationalen biomedizinischen Forschungsergebnissen noch verschließen wollen. Statt sich den drängenden Problemen der ME-Kranken zu stellen, ziehen unser derzeit noch amtierender Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und unsere Forschungsministerin Johanna Wanka es vor, meinen offenen Brief zu ignorieren und ihn keiner Antwort für nötig zu befinden – und das in einem Wahljahr! Dabei sollten sie alle Kraft daran setzen, Deutschland auch für die ME-Forschung zu einem attraktiven Forschungsstandort auszubauen. Offenbar haben die politischen Parteien bislang nicht das schlummernde und zahlenmäßig nicht unerhebliche Wählerpotenzial erkannt, das sie auf diese Weise für sich gewinnen könnten.

Referenzen:


Simon McGrath „Mark Davis finds the strongest evidence yet for ME/CFS immune activation and hunts for the trigger“, 18.08.2017, 
https://www.facebook.com/notes/simon-mcgrath-mecfs-research/mark-davis-finds-the-strongest-evidence-yet-for-mecfs-immune-activation-and-hunt/343163262805297/?fref=mentions 

Eva Grützner, Rika Draenert „Immundefekt bei HIV“, HIV & more online, Ausgabe 3/2015, 
https://www.hivandmore.de/archiv/2015-3/immundefekt-bei-hiv.shtml

Bildnachweise:

Giovanni Boldini, Der Kutscher, www.commons.wikimedia.org
William Hogarth, Die Wahlwww.commons.wikimedia.org


Katharina Voss, Copyright 2017