Auf
einer Konferenz in New York City im Dezember 2013 wurde ein frisch pensionierter
Wissenschaftler der National Institutes
of Health (NIH) von einem ME-Patienten gefragt, was die NIH-Führung denn nun wirklich über
unsere Krankheit denke. Der Wissenschaftler ließ sich Zeit mit seiner Antwort. Nachdem
er seine Worte wohl abgewogen zu haben schien, antwortete er ernst: „They hate
you!“ Es war die wohl ehrlichste Antwort, die ein ME-Patient je von einem NIH-Wissenschaftler bekommen hat. [Johnson,
2014] *
Doch nun hat die NIH-Leitung offenbar endlich ihr Herz für unsere Krankheit entdeckt, denn sie plant eine inneruniversitäre Studie zur Myalgischen Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrom. Eine tolle Sache, denn nach Jahrzehnten der Missachtung und Vernachlässigung werden die ME-Kranken schließlich doch ernst genommen. Die 40 Studienteilnehmer sollen nach den Kanadischen Konsenskriterien rekrutiert werden, unter post-exertional malaise (PEM) leiden und als Sahnehäubchen obendrauf: Es sollen nur Patienten mit post-infektiöser ME an der Studie teilnehmen dürfen. Klingt doch super, oder?
Was gibt es also zu meckern?
Es besteht der begründete Verdacht, dass die Ergebnisse der
Studie zur Untermauerung einer psychogenen bzw. psychosomatischen Verursachungshypothese
dienen und von dementsprechenden Therapieempfehlungen wie Aktivierung (GET),
Kognitive Verhaltenstherapie (CBT), Schmerzmedikamenten und Antidepressiva
sekundiert werden sollen.
Kann uns das nicht
völlig schnuppe sein, was in den USA in Sachen ME passiert?
Leider nein, denn die Resultate einer NIH-Studie werden weltweit die Gesundheitspolitik zu dieser
Krankheit beeinflussen und sich damit auf alle ME-Kranken auswirken. Und obwohl
das
Studiendesign auf den ersten flüchtigen Blick so vielversprechend aussieht, gibt
es eine Menge Haken.
Was ist faul an der Studie?
Nehmen
wir zunächst einige Mitglieder des Forscherteams unter die Lupe. Studienleiter
ist der Neurologe und Spezialist für Neuroimmunologie und Neuroinfektiologie Dr. Avindra Nath, Abteilung National Institute of
Neurological disorders and Stroke (NINDS). Seine Forschungsinteressen sind
auf das Verstehen der Pathophysiologie retroviraler Infektionen des
Nervensystems und die Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer
Ansätze fokussiert. Das klingt eigentlich äußerst vielversprechend. Aber leider
kann man wohl von vornherein ausschließen, dass die Proben der Teilnehmer auf
bislang nicht identifizierte Retroviren untersucht werden. Ob sie zumindest auf
humane endogene Retroviren (HERV-K) getestet werden, eines der Spezialgebiete Naths, bleibt nur zu hoffen. Denn das
könnte zu Behandlungsstudien mit antiretroviralen Medikamenten führen. Doch auch
das ist wohl mehr als unwahrscheinlich. (Nath
hat in Hirnproben verstorbener
ALS-Patienten eine vermehrte Expression von HERV-K gefunden. Auch bei
HIV-Infektionen ist HERV-K häufig aktiviert, wie diese Arbeit von Nath zeigt.)
Klinischer
Leiter der Studie ist Dr. Brian Walitt vom National Institute of Nursing Research (NINR). Walitts Forschungsinteressen sind, nach Angaben der NIH, „Schmerzstörungen und ähnliche Körperwahrnehmungsstörungen (d.h.
Fibromyalgie und Chronic Fatigue)“, sowie „die sozialen Konstrukte Erkrankung
und Krankheit“, außerdem „entzündliche Gelenkschmerzen und Autoimmunstörungen“. (Ü.d.A.)
Was haben Walitts Interessen zu bedeuten?
Walitt,
der in seinen Arbeiten häufig Simon Wessely und Per Fink zitiert, hält Fibromyalgie und Chronic Fatigue (und
ME sowie „CFS“) augenscheinlich für bloße Körperwahrnehmungsstörungen. Auch
Autoimmunkrankheiten sind für ihn nichts weiter als „Störungen“, ein Begriff,
der in der Regel nur auf psychiatrische Krankheitsbilder angewandt wird. Seine
Beschäftigung mit Erkrankung und Krankheit als soziale Konstrukte lässt ebenfalls
tief blicken und zeigt, welch Geistes Kind Walitt
ist. Zum einen ist hier die Nennung beider Begriffe, nämlich von Erkrankung
(illness) und Krankheit (disease) aufschlussreich.
Die Psychiater der britischen Wessely School machen einen Unterschied
zwischen illness und disease. Illness bezeichnet ihrer Auffasssung nach lediglich ein Verhalten oder
ein subjektives Gefühl, sich unwohl zu fühlen. Nur eine objektiv
diagnostizierbare disease wird als
eine richtige Krankheit akzeptiert und nur derjenige, der an einer disease erkrankt ist, erfährt Legitimation
als Kranker. Walitt unterscheidet
wohl ebenso zwischen illness und disease, wie der Folie einer seiner
Präsentationen zu entnehmen ist, wo er schreibt, „Fibromyalgie könnte eher eine
Erkrankung als eine Krankheit sein.“ (Ü.d.A., Video, Min. 2:16) (Übrigens ist Dr. Avindra Nath so
ziemlich allein auf weiter Flur, wenn er in Bezug auf „CFS“ von disease spricht, also von einer echten Krankheit, während fast alle seine NIH-Kollegen
nur von disorder oder illness sprechen.)
Offensichtlich
geht Walitt sogar noch einen Schritt weiter
als die Wessely School-Vertreter. Denn er scheint sowohl Erkrankung als auch Krankheit
für soziale Konstrukte zu halten. Mit dem Begriff Konstrukt legt Walitt das
Gewicht auf das empirisch nicht Erkennbare, auf das, was sich dem Auge des
Untersuchenden entzieht. Erkrankung
und Krankheit zu sozialen Konstrukten
zu erklären, bedeutet im Grunde genommen, ihre objektive Existenz anzuzweifeln
und diese Bezeichnungen auf eine bloße gesellschaftliche Übereinkunft, was
unter Erkrankung und Krankheit zu verstehen ist, zu verkürzen,
die sich auf keine objektiv bestimmbare Wirklichkeit stützen kann.
Was denkt Walitt
noch so, z.B. über Fibromyalgie?
Obwohl Ätiologie
und Pathogenese der Fibromyalgie bislang ungeklärt sind, behauptet Walitt zu wissen, es handele sich um „eine
klinisch gut definierte chronische Erkrankung mit einer biopsychosozialen
Ätiologie“. (Ü.d.A.) [Walitt, Häuser et al., 2015] „Fibromyalgie scheint eine somatoforme
Störung mit bemerkenswerten Ähnlichkeiten zur Neurasthenie zu sein“, schreibt er.
(Ü.d.A.) [Wolfe und Walitt, 2013] Fibromyalgie sei „eng verbunden mit und oft
nicht zu unterscheiden von der Neurasthenie“, ihr „Status als "echte
Krankheit" anstatt einer psychokulturellen Krankheit … (werde) durch
soziale Kräfte untermauert, wozu die Unterstützung durch die offiziellen
Kriterien, Patienten und Berufsorganisationen, Pharmaunternehmen, Erwerbsunfähigkeitsberechtigung
und die akademischen und Rechtsgemeinschaften gehört.“ (Ü.d.A.) [Wolfe und Walitt, 2013]
Ein klares
Statement, dass Walitt Fibromyalgie nicht
für eine echte Krankheit hält, sondern für eine soziokulturelle Verabredung, geschaffen,
um sekundären Krankheitsgewinn abzuschöpfen und pekuniäre Interessen diverser
Berufsstände zu sichern. Einer wie Walitt,
der allem Anschein nach seinen „Untersuchungsgegenstand“, nämlich chronisch
kranke Menschen hasst, liebäugelt selbstredend auch mit der Hypothese, dass (retrospektiv
selbstberichteter) Kindesmissbrauch einen Risikofaktor an Fibromyalgie zu
erkranken darstelle bzw. bei der Genese und dem Schweregrad der Fibromyalgie
eine signifikante Rolle spiele. [Häuser, Walitt et al. 2015; Walitt et al.,
2016] (Walitt veröffentlichte
übrigens bereits mehrfach gemeinsam mit dem deutschen Psychosomatiker Winfried Häuser.)
Noch doller
wird es aber, wenn Walitt über
Fibromyalgie spricht. Die Global Academy
for Medical Education hat ein Video-Interview mit ihm gedreht, das entlarvender
nicht sein könnte. Hat man je einen Wissenschaftler einen derartigen Mist
zusammenfaseln hören? Seinem Gestammel, unterbrochen von unzähligen „ähs“ und „ähms“
und leeren Worthülsen wie „verstehst du?“ und „oder?“ sowie unterstützt von
Folien seiner Präsentation, entnehmen wir, dass er Fibromyalgie als ein
„modernes Narrativ für eine Reihe persistierender, belastender und stereotyper
Sinneserfahrungen“ ansieht, das „nicht gültig zu sein scheint“. (Ü.d.A.) Man solle
„erkennen, dass diese atypischen Dinge halt im Bereich des Normalen sind, dass
du nicht krank bist, schlecht oder schwach, dass du es nur mit den
Schwierigkeiten zu tun hast, ein Mensch zu sein.“ ** (Ü.d.A.)
(Merken solche Wissenschaftler eigentlich, in was für eklatante Widersprüche sie sich verwickeln? Oder ist ihnen das völlig wurscht, Hauptsache die Forschungsgelder fließen und irgendwann winken fette Verträge mit Pharmakonzernen oder gut honorierte Posten bei staatlichen Institutionen? Denn man kann doch nur schließen, dass Walitt seinen eigenen Hypothesen zufolge Kindesmissbrauch für einen „Bereich des Normalen" hält und ihn zu „den Schwierigkeiten" zählt, „ein Mensch zu sein." Er sollte sich vielleicht diesen Trailer von "M.E. The Hidden Truth" anschauen. Danach kann er sich ja noch einmal überlegen, ob der Alltag der Schwerkranken nur ein „Narrativ für eine Reihe persistierender, belastender und stereotyper Sinneserfahrungen“ ist!)
Zeit, einmal tief Luft zu holen.
Was will uns
Walitt hier verklickern? Die Symptome
der Fibromyalgie, eine – wohlgemerkt – organische Krankheit, die im ICD unter
den Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems
und des Bindegewebes klassifiziert ist, seien nichts weiter als der
unzulässige Versuch der Betroffenen, die normalen Beschwerlichkeiten, die das
menschliche Leben nun einmal so mit sich bringt, zu Beschwerden mit
Krankheitswert umzudeuten und diese Umdeutung als sinnstiftende Story für die
eigene Unfähigkeit, mit den normalen Anforderungen des Lebens zurechtzukommen,
verkaufen zu wollen?
Schwer
behindernde chronische Muskel- und Gelenkschmerzen, Müdigkeit, Ein- und
Durchschlafstörungen, Schwellungsgefühle, Magen-Darm-Probleme, Reizblase, Herz-
und Atemprobleme usw. sind demzufolge also ganz normale Begleiterscheinungen
des Lebens? Und Brian Walitt der
einzig legitime Interpret unserer körperlichen Leiden?
Puhhhh – wie
empathielos muss man sein, um sich zu solch kruden Hypothesen aufzuschwingen?
Dass Mr. Walitt nicht gerade vor
Empathie strotzt, tritt im Video überdeutlich zutage. Sein Sprechen ist von
einer nachgerade bizarr fassadenhaften Mimik begleitet und einem irritierend
gekünstelten Lächeln, das diese Bezeichnung nicht einmal annähernd verdient. (Man
ist versucht, von einer Als-ob-Persönlichkeit zu sprechen.) Und diesen Freak hat
man zum klinischen Leiter einer NIH-
Studie auserkoren, einen, der sich schon im Voraus als „Cheerleader“ für die
Studienteilnehmer feiert!
Dass Walitt selbstverständlich auch „CFS“ für
eine somatoforme Störung hält, hat er längst zu Protokoll gegeben. [Walitt, Saligan et al., 2015] Doch es ist anzunehmen, dass er, trotz
gegenteiligen Lippenbekenntnisses, in Wahrheit über nicht umstrittene
Krankheiten nicht sehr viel anders denkt. Für ihn ist nämlich „jegliches
Erleben … ein psychosomatisches Erleben.“ (Ü.d.A., Video) Man könnte noch
seitenlang Brian Walitts Ergüsse,
seine Bankrotterklärung als Wissenschaftler, kommentieren, denn jeder einzelne
seiner Sätze ist eine Ohrfeige für die Kranken. Doch leider gibt es noch mindestens
zwei weitere Knalltüten zu enttarnen und auch andere Fallstricke der geplanten
Studie aufzuzeigen. (Zu Brian Walitts
Äußerungen im Video siehe auch diesen Blog von Jeannette Ketterle Burmeister.)
Welche Ansichten vertritt Dr. Fred Gill?
2011 hielt Fred Gill, Internist, Infektiologe und
Chefarzt des internistischen Beratungsservice des Klinikums der NIH, einen
Vortrag, wo er konstatierte, „CFS“ sei ein sehr ähnliches Syndrom wie Neurasthenie.
Er sprach sich für eine strikte Begrenzung biomedizinischer Tests bei solchen
Patienten aus und warnte, jegliches positive Testergebnis sei vermutlich ein
falsch positives Ergebnis und verursache nur unnötig Ängste. Als Therapien
empfahl er GET und CBT sowie trizyklische Antidepressiva. Alles wie gehabt!
Wer ist Dr.
Leorey Saligan?
Leorey Saligan – Dr. der Pflegewissenschaften, der mehrere Arbeiten
gemeinsam mit Walitt publiziert hat –
forscht zu Fatigue bei allen möglichen Krankheiten und kam dabei zu der bahnbrechenden
Erkenntnis, dass Menschen, die zum Katastrophisieren neigen, diesem Symptom
unnötige Aufmerksamkeit schenken, was ihre Motivation bezüglich ihrer
Aktivitäten des täglichen Lebens beeinflusse und Schwarzmalerei zu einem idealen Verhaltensmarker für die Central
Fatigue mache. Kein Kommentar!
Welche
Krankheitsdefinition müssen die Probanden erfüllen?
Zunächst war die
Rede von den operationalisierten Fukuda-Kriterien,
der sogenannten Empirischen Definition von William Reeves et al. Diese
Definition ist so verwässert, dass mit ihr auch
Menschen, die nur in ihrer sozialen Funktionsfähigkeit oder in ihrer
Emotionalität beeinträchtigt sind, nicht aber in ihrer physischen Funktion als
„CFS“-Kranke identifiziert werden können. Nach massiven Patientenprotesten will
man nun offenbar die Kanadischen Konsenskriterien (CCC) zugrundelegen. (Sicher scheint das aber nicht,
möglicherweise werden doch die Empirischen Kriterien angewandt. Siehe dazu
diesen Blog von Mary Schweitzer.)
Aber leider
hat man versäumt, „ME/CFS“-Spezialisten in die Probandenauswahl einzubinden.
Von den Experten, welche die Patientenrekruitierung überwachen sollen, besitzt
keiner klinische Erfahrung in der Diagnostik von „ME/CFS“. (Siehe auch diesen Blog von Erica Verillo.)
Die Kanadischen Konsenskriterien geben zudem
– anders als die Internationalen Konsenskriterien (ICC) und die Ramsay-Definition – nicht post-exertional neuro immune exhaustion (PENE) und pathologische
Muskelerschöpfbarkeit als Kernsymptomatik an, sondern Fatigue. Fatigue ist
jedoch kein Kernsymptom der ME, allenfalls ein sporadisch oder phasenweise
auftretendes Begleitsymptom, das auch viele andere schwere chronische
Krankheiten kennzeichnet.
Die
Patienten sollen zwar auf post-exertional malaise (PEM) untersucht werden, aber
offenbar – so geht es jedenfalls aus der Ankündigung hervor – erst während
ihres Klinikaufenthaltes. Das würde heißen, dass nur bereits für die Studie rekrutierte
Patienten auf PEM untersucht werden sollen und PEM gar kein Eingangskriterium
darstellt, wie an anderer Stelle nahegelegt. Doch ein durch validierte
Messmethoden objektivierter PEM-Befund – und nicht etwa nur eine
selbstberichtete PEM – wäre ausschlaggebend, um die richtigen Patienten zu
erfassen.
Denn so
etwas wie PEM wird auch für die Neurasthenie beschrieben, die ja ein
Steckenpferd von mindestens zwei Vertretern des Forscherteams ist. Wie bereits
erwähnt, halten sowohl Fred Gill als
auch Brian Walitt „CFS“ bzw. Fibromyalgie für die gleiche oder eine
bemerkenswert ähnliche Erkrankung wie Neurasthenie. Hinsichtlich PEM ist im ICD-10 unter dem Code F.48 Folgendes zu
Neurasthenie notiert: „Bei der anderen Form (der Neurasthenie) liegt
das Schwergewicht auf Gefühlen körperlicher Schwäche und Erschöpfung nach nur
geringer Anstrengung, begleitet von muskulären und anderen Schmerzen ….“
[DIMDI, 2016; WHO, ICD 10] Hier ist zwar nur von Gefühlen körperlicher
Schwäche und Erschöpfung die Rede, doch um gefühlte Schwäche von pathologischer
Schwäche zu unterscheiden, muss letztere mit Hilfe des an zwei
aufeinanderfolgenden Tagen durchgeführten kardiopulmonalen Exercise-Test (CPET)
– nach dem Protokoll des Sportmediziners
Christopher Snell – objektiviert werden. Nur so können mild
und moderat an ME Erkrankte zweifelsfrei von Dekonditionierten, Unmotivierten
oder Patienten mit anderen Erkrankungen unterschieden werden.
Können und wollen die NIH denn überhaupt eine homogene Patientenkohorte mit „echten“
ME-Kranken zusammenstellen? Es bestehen begründete Zweifel am Können und
Wollen. Denn die Kanadischen
Konsenskriterien mussten der NIH
erst von der Patientengemeinde abgerungen werden, die Forschenden sind keine
erfahrenen Diagnostiker und auch die geplanten Testungen sind nicht unbedingt
ME-spezifisch und nehmen wenig Bezug auf bereits bestehende Forschungsergebnisse.
Dazu gleich mehr, aber zunächst wollen wir uns noch die Kontrollgruppen
anschauen.
Welche Kontrollgruppen sind vorgesehen?
Ursprünglich hatte man diese beiden Kontrollgruppen
vorgesehen: erfolgreich therapierte, symptomfreie Lyme-Patienten und Patienten,
die an einer sogenannten funktionellen Bewegungsstörung (functional movement
disorder=FMD=psychogene Bewegungsstörung oder auch Konversionsstörung
motorischen Typs) leiden. Dieser Plan ließ bei den ME-Aktivisten alle
Alarmglocken schrillen: Warum keine Kontrollgruppe Gesunder? Warum
Kontrollgruppen zweier beinahe ebenso kontrovers wie ME diskutierter
Krankheiten? Welche Absicht könnte hinter der Auswahl dieser Gruppen stecken?
Borreliose-Tests sind oftmals nicht sehr
zuverlässig. Es werden Tests angeboten, die falsch positive Ergebnisse
anzeigen. Ebenso welche, die falsch negativ ausfallen können. Ein Teil der
Infizierten lässt sich gar nicht über die marktüblichen Tests identifizieren,
weil bei diesen Patienten die Antikörperbildung gestört ist. Ob die Patienten
der Kontrollgruppe tatsächlich an Borreliose erkrankt waren, bleibt also
fraglich.
Das Gleiche gilt für die andere Kontrollgruppe.
Deren Patienten sind zwar mit einer psychiatrischen Diagnose belegt, doch sind
sie je darauf untersucht worden, ob womöglich neuropathische Viren oder andere
pathogene Erreger für ihre Erkrankung verantwortlich sind? Ganz sicher nicht. Psychogene
bzw. funktionelle Bewegungsstörungen (FMD) gehören zu den medizinisch
ungeklärten Symptomen. Ob es sich bei ihnen, wie bislang angenommen, nicht etwa
um ein hysterisches Phänomen, eine Artefakt-Krankheit, eine somatoforme Störung
oder Simulation handelt, sondern um Krankheitszeichen einer organpathologischen
Veränderung, ausgelöst durch pathogene Erreger, Toxine und/oder genetische
Einflüsse, ist weitgehend ungeklärt.
Ebenso ungeklärt ist die Ätiologie der ME.
Vergleicht man aber Gruppen von Patienten miteinander, bei denen jeweils unklar
ist, woran sie erkrankt sind bzw. was die eigentliche Ursache ihrer Erkrankung
ist, könnten sich die Ergebnisse gegenseitig aufheben. D.h. die gemessenen
Parameter könnten für alle Gruppen ähnlich ausfallen, zumindest die der
ME-Patienten und die der FMD-Patienten, womit dann quasi nachgewiesen wäre, dass ME
ebenfalls eine somatoforme Störung, Hysterie und/oder Simulation ist.
Die NIH
hat inzwischen dem Druck der Patientenproteste nachgegeben und statt der
FMD-Kontrollgruppe eine Gruppe gesunder Kontrollen vorgesehen. Es war völlig unverständlich, dass die NIH zunächst keine Kontrollgruppe Gesunder vorgeschlagen hatten - bei einer Studie, deren erklärtes Ziel es ist, die "klinischen und biologischen Charakteristiken von ME/CFS" zu verstehen. Wenn man die klinischen Auffälligkeiten und biologischen Anomalien einer Krankheit herausfinden möchte, gehört es doch ganz selbstverständlich zum wissenschaftlichen Procedere, Kranke mit Gesunden zu vergleichen.
Warum, so fragt man sich unwillkürlich, brauchen die NIH eigentlich immerzu Nachhilfe von den Patienten? Ist es so schwer, als Wissenschaftler von selbst auf die Idee zu kommen, eine Patientenkohorte mit einer Gruppe gesunder Kontrollen zu vergleichen? Warum müssen die Patienten der NIH so etwas nahelegen?
Die ehemaligen Lyme-Patienten bleiben jedoch als Vergleichsgruppe in der Studie. Ein Blick auf Arbeiten der Lyme-Expertin des Forscherteams Dr. Adriana Marques gibt uns vielleicht einen Hinweis auf die Gründe, weshalb an ihr festgehalten wird. Marques bezweifelt nämlich, dass chronische Borreliose durch eine persistierende Infektion mit Borrelien verursacht wird. Antibiotika-Behandlungen zeigen ihrer Auffassung nach wenig Nutzen und bergen signifikante Risiken, wohingegen die Gabe von Placebos ebenso wirksam sei. [Marques, 2008; Marques, 2008; Marques et al., 2013]
Warum, so fragt man sich unwillkürlich, brauchen die NIH eigentlich immerzu Nachhilfe von den Patienten? Ist es so schwer, als Wissenschaftler von selbst auf die Idee zu kommen, eine Patientenkohorte mit einer Gruppe gesunder Kontrollen zu vergleichen? Warum müssen die Patienten der NIH so etwas nahelegen?
Die ehemaligen Lyme-Patienten bleiben jedoch als Vergleichsgruppe in der Studie. Ein Blick auf Arbeiten der Lyme-Expertin des Forscherteams Dr. Adriana Marques gibt uns vielleicht einen Hinweis auf die Gründe, weshalb an ihr festgehalten wird. Marques bezweifelt nämlich, dass chronische Borreliose durch eine persistierende Infektion mit Borrelien verursacht wird. Antibiotika-Behandlungen zeigen ihrer Auffassung nach wenig Nutzen und bergen signifikante Risiken, wohingegen die Gabe von Placebos ebenso wirksam sei. [Marques, 2008; Marques, 2008; Marques et al., 2013]
Könnte chronische Borreliose also mit
Hilfe von Marques Arbeiten als
somatoforme Störung oder als „falsche Krankheitsüberzeugung“ nach einer längst
abgeklungenen Infektion uminterpretiert werden, so wie es die Wessely School und ihre internationalen
Adepten, zu denen auch deutsche Psychiater und Psychosomatiker gehören, für ME formulieren? Werden womöglich nur erfolgreich mit Placebos therapierte
Vergleichskontrollen ausgesucht, obwohl deren Genesung vielleicht gar nicht den
Placebos, sondern einer Spontan-Remission oder anderen, noch unverstandenen
Mechanismen zuzuschreiben ist?
In diesem Fall würde die
Lyme-Kontrollgruppe als eine quasi psychiatrische Kontrollgruppe umgenutzt werden,
wobei dann zu befürchten wäre, dass deren Therapieerfolg mittels Placebos einer
künftigen Behandlungsstrategie für „ME/CFS“ den Weg ebnen soll.
Hätten die NIH in den letzten Jahrzehnten mehr für die ME-Patienten getan,
müsste man nicht wild über ihre verborgenen Absichten spekulieren. Doch nach
mehr als 30 Jahren Missachtung und Vernachlässigung, kann man das Beharren der NIH auf einer Kontrollgruppe von
Erkrankten, die einen beinahe ebenso verzweifelten Kampf um die Anerkennung
ihrer Krankheit führen und fast genauso häufig von Psychopathologisierung
betroffen sind, nur mit Misstrauen beäugen. (Meine Anfrage bei der NIH, womit die Patienten der
Lyme-Kontrollgruppe erfolgreich behandelt wurden, blieb bislang unbeantwortet.) ***
Welche Tests sollen durchgeführt werden?
Eine Magnetresonanztomographie (MRT) des
Gehirns wird angefertigt, Speicheltests auf Viren werden durchgeführt, Stresshormone
sowie Mund- und Darmbakterien bestimmt, die Handkraft wird gemessen,
Körperfunktionen wie Schwitzen und Atmen sollen untersucht werden, Blutdruck im
Stehen, Sitzen und Liegen, die Herzschlagrate, Blutzellen, Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit
soll entnommen werden und jedem Probanden wird ein Aktivitätsmesser ausgehändigt,
den er bei sich zuhause eine Woche lang tragen muss. In dieser Woche muss auch
ein „Fatigue-Tagebuch“ geführt werden.
Transkranielle Magnetstimulation soll
eingesetzt werden, um die Gehirnaktivität zu beeinflussen und zu untersuchen,
welche Änderungen der Erregbarkeit des Gehirns zusammen mit Muskelermüdung
auftreten. Während der MRT bekommen die Probanden Aufgaben gestellt, um die Veränderungen
der Gehirnaktivität bei verschiedenen Arten von Fatigue zu untersuchen. Nachts
werden die Patienten während ihres stationären Aufenthaltes an Herzmonitoren
angeschlossen, zweimal soll ein Fahrrad-Belastungstest erfolgen.
Außerdem gibt es Denk- und Gedächtnistests
zu absolvieren sowie Fragebögen über das Befinden auszufüllen.
Wie sinnvoll sind diese Test, um ME zu erforschen?
· Ein funktionelles MRT könnte die kognitiven Defizite Erkrankter
objektivieren, ist jedoch problematisch, wenn die beobachteten pathologischen
Veränderungen und Dysfunktionen der Probanden nicht von denen unterschieden
werden, die durch psychiatrische Erkrankungen entstehen können.
·
Virentests sind nur dann sinnvoll, wenn
nach bislang unbekannten viralen Erregern gesucht wird.
·
Bakterientests sind nur sinnvoll, wenn
nach bislang unbekannten Bakterien gefahndet wird.
·
Stresshormone unter stressbelasteten
Umständen (Klinikaufenthalt!) zu prüfen, führt eventuell zu gegenteiligen,
ME-untypischen Ergebnissen.
·
Handkraftmessung ist allenfalls bei
Schwer- und Schwerstkranken sinnvoll und hat ohnehin insgesamt wenig
Aussagewert.
·
Eine Untersuchung auf Körperfunktionen wie
Schwitzen und Atmen ist dann heikel, wenn häufiges und vermehrtes Schwitzen
sowie Hyperventilation nicht als ME-typisches pathophysiologisches Phänomen,
sondern als Zeichen einer psychischen oder psychosomatischen Störung
interpretiert werden.
·
Ähnliches gilt für die Herzschlagraten-
und Blutdruckmessung. Hier stellt sich die Frage, ob die Resultate als
pathophysiologische Anomalien oder aber als Hinweis auf eine Dekonditionierung
beurteilt werden.
·
Eine Untersuchung der Blutzellen kann durchaus
Anomalien zeigen, aber ob sich in einer so kleinen Kohorte bei genügend
Teilnehmern die gleichen Abweichungen finden und sich dadurch statistisch
relevante Resultate nachweisen lassen, ist zweifelhaft.
·
In der Regel bleiben Liquoruntersuchungen
bei ME-Patienten ergebnislos. Es kommt aber auch darauf an, wonach man sucht.
Hier wäre - ähnlich wie auch bei den Blutuntersuchungen - die Frage, ob z. B. nach Anzeichen einer veränderten Immunsignatur
gesucht werden soll, wie das Judy Mikovits et al., Sonja Marshall-Gradisnik et al. und Mady Hornig et al. bereits vorgemacht haben. Doch dann bleibt immer noch offen, ob die Anomalien
zur organpathologischen Erklärung für die kognitiven Dysfunktionen und die
Muskeldysfunktion herangezogen werden, oder ob sie eine wie auch immer geartete
„Psychohypothese“ untermauern sollen.
· Ein Aktivitätsmesser ist sehr sinnvoll, um zu
dokumentieren, wie behindernd die Krankheit ist. Wenn der organpathologische
Charakter der Krankheit allerdings zur Disposition steht und die Auswertung der
Daten nur dazu benutzt werden soll, den Kranken eine durch Inaktivität
heraufbeschworene Dekonditionierung zu attestieren, richtet sich der Einsatz
eines solchen Messinstruments als Waffe gegen die Patienten.
· Ein „Fatigue-Tagebuch“ zu führen ist nur dann
sinnvoll, wenn die darin vorgegebenen Bezeichnungen und Kategorieneinteilungen
nicht für psychologische Interpretationen taugen. Die Tatsache, dass hier von
„Fatigue“ gesprochen wird, deutet bereits darauf hin, dass mit schwammigen und/oder
unzutreffenden Begriffen gearbeitet wird, die auch psychologisch gedeutet
werden könnten.
· Das gleiche gilt für Fragebögen, die die
Befindlichkeit dokumentieren sollen.
· Ob die Transkranielle Magnetstimulation geeignet ist, die Ursache für die
Muskelerschöpfbarkeit zu eruieren, erscheint zumindest fraglich.
· Die nächtliche Überwachung mit einem Herzmonitor wird vermutlich nur wenig
zu einem Erkenntnisgewinn beitragen.
· Der Fahrradbelastungstest wird nur dann die pathologische
Zustandsverschlechterung nach Belastung objektivieren, wenn er nach dem
Protokoll von Christopher Snell
durchgeführt wird.
· Denk- und Gedächtnistests können die kognitiven Probleme der Erkrankten
dokumentieren. Es bleibt die Frage offen, ob schlechte Testergebnisse dann
organpathologischen oder aber psychischen Faktoren zugeschrieben werden.
Welche Patienten können teilnehmen?
An der Fülle der Tests, von denen die
meisten während eines einwöchigen Klinikaufenthaltes, einige während eines
zwei- oder dreitägigen Screenings durchgeführt werden, kann man bereits
ablesen, dass in dieser Studie nur mild, allenfalls noch moderat Erkrankte
teilnehmen können. Aber schon für Letztere ist ein solcher
Untersuchungsmarathon, zudem in einem Klinikbetrieb, der unzählige, für den
Kranken kaum zu verarbeitende Reize birgt und wenig Raum für Erholung lässt,
nur schwer durchzustehen, ohne eine anschließende massive
Zustandsverschlechterung zu erleiden. Hat man denn bei der NIH noch immer nicht begriffen, mit welcher Krankheit man es zu tun
hat? Oder will man es nicht begreifen?
Dass Schwer- und Schwerstkranke seit
Jahrzehnten von Studien ausgeschlossen sind, weil man ihnen nicht die
überlebensnotwendigen Bedingungen dafür schafft, ist ohnehin ein großer Fehler.
Auch die Patienten von epidemischen und Cluster-Ausbrüchen wurden bisher viel
zu wenig untersucht. Denn welche Patienten, wenn nicht diese, sollten einen neuen
Erkenntnisgewinn bringen?
Grundsätzlich ist es nicht verkehrt, dass
die Erkrankungsdauer der Teilnehmer auf einen Zeitraum von 5 Jahren begrenzt
wird. Auf diese Weise lässt sich eine homogenere Kohorte zusammenstellen. Doch
die Aufnahme von Patienten, die erst seit 6 Monaten erkrankt sind, ist ganz und
gar nicht unproblematisch. Denn diese Patienten haben die akute Krankheitsphase
womöglich noch gar nicht hinter sich gebracht, die chronische beginnt in der Regel
erst nach diesen 6 Monaten. Dabei ist es noch keineswegs ausgemacht, ob der
Patient sich nach der akuten Phase nicht wieder langsam erholt. Es ist nach 6
Monaten oft noch nicht einmal klar, ob der Patient überhaupt an ME erkrankt ist
oder aber an einem Postviralen Fatiguesyndrom. Ob jedoch diejenigen, die die
Patientenrekrutierung überwachen sollen, ein Postvirales Fatiguesyndrom von ME
unterscheiden können, ist mehr als ungewiss, da sie keine erfahrenen
Diagnostiker sind.
Müssen wir befürchten, dass die NIH-Führung
uns auch weiterhin hasst?
Diese Frage lässt sich momentan noch nicht
mit Sicherheit beantworten. Doch die NIH
macht ein ums andere Mal so viele Winkelzüge, dass es nicht verkehrt ist, mit
dem Schlimmsten zu rechnen, wenn man nicht enttäuscht werden will. Die Salamitaktik der NIH lässt jedenfalls vermuten, dass nicht mit offenen Karten gespielt wird. Sonst würde man von Beginn an ein Studiendesign entwickelt haben, das allgemeinen wissenschaftlichen Anforderungen und dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand Genüge leistet. Oder aber die NIH würden zumindest ihre metatheoretischen Überlegungen nachvollziehbar offengelegt haben, die das von ihnen ausbaldowerte Studiendesign begründen könnten. Das ist aber nicht der Fall. Deshalb muss man den Eindruck gewinnen, dass die wahren Absichten, die hinter diesem Studiendesign stehen, dem kritischen Auge verborgen bleiben sollen. ****
Allein die Studienhypothese bleibt bereits hinter längst erbrachten Forschungsresultaten zurück. Nach ihr wird postinfektiöses „ME/CFS“ durch eine virale Erkrankung getriggert, mit dem Resultat einer immunvermittelten Gehirndysfunktion. Das klingt erstmal gut. Doch einige biomedizinische Studien haben bereits nicht nur eine Gehirndysfunktion, sondern darüber hinaus organpathologische Gehirnveränderungen festgestellt. Das ist ein großer Unterschied. Denn auch Befindlichkeiten können zu Gehirndysfunktionen führen, nicht aber zu organpathologischen Gehirnveränderungen, wie sie für ME beschrieben wurden. (Laut Dr. Paul Cheney, Arzt und Zeuge des epidemischen Ausbruchs am Lake Tahoe, sagte ein Neuroradiologe, die Hirn-Scans sähen aus wie die von AIDS-Patienten. Siehe hier, Min. 4:22.)
Allein die Studienhypothese bleibt bereits hinter längst erbrachten Forschungsresultaten zurück. Nach ihr wird postinfektiöses „ME/CFS“ durch eine virale Erkrankung getriggert, mit dem Resultat einer immunvermittelten Gehirndysfunktion. Das klingt erstmal gut. Doch einige biomedizinische Studien haben bereits nicht nur eine Gehirndysfunktion, sondern darüber hinaus organpathologische Gehirnveränderungen festgestellt. Das ist ein großer Unterschied. Denn auch Befindlichkeiten können zu Gehirndysfunktionen führen, nicht aber zu organpathologischen Gehirnveränderungen, wie sie für ME beschrieben wurden. (Laut Dr. Paul Cheney, Arzt und Zeuge des epidemischen Ausbruchs am Lake Tahoe, sagte ein Neuroradiologe, die Hirn-Scans sähen aus wie die von AIDS-Patienten. Siehe hier, Min. 4:22.)
Was die verschiedenen Tests angeht, so
wird man den Eindruck nicht los, dass die NIH
mit ihrer Forschung offenbar beim Nullpunkt beginnen wollen, als hätte es nicht
schon seit Jahrzehnten – wenn auch leider nur in bescheidenem Rahmen – biomedizinische
„ME/CFS“-Forschung gegeben. Viele der geplanten Tests wirken zumindest auf den
ersten Blick zu unspezifisch, sind Routineuntersuchungen und scheinen sich
nicht auf schon vorhandene Forschungsergebnisse zu beziehen. Doch Routineuntersuchungen
verlaufen bekanntermaßen bei ME in aller Regel ergebnislos.
Um valide Biomarker für eine Krankheit zu erhalten,
sind 40 Probanden ohnedies viel zu wenige. Mindestens 200 Studienteilnehmer,
besser noch doppelt so viele, bräuchte man, um verwertbare Ergebnisse zu
erzielen. Auch wenn man in Studienphase I noch gar nicht nach Biomarkern sucht,
wird es bei einer so kleinen Patientenkohorte insgesamt schwierig werden, relevante
Schnittmengen auszumachen. Zu geringe Aussagekraft wegen zu geringer
Probandenzahl – das kreideten die Autoren des IOM-Reports vielen (chronisch unterfinanzierten) biomedizinischen
Studien zu „ME/CFS“ an, weshalb sie in ihrem Report keine Erwähnung fanden.
Warum muss die NIH, die doch die
notwendigen Mittel zur Verfügung hätte, jetzt diesen Fehler noch einmal
wiederholen?
Außerdem: 40 Patienten eine ganze Batterie
diverser Tests absolvieren zu lassen, wird aller Wahrscheinlichkeit nach nur
wenig übereinstimmende Resultate zutage fördern. Gleichzeitig könnte bei so
einer kleinen Kohorte eine für eine Untergruppe Erkrankter relevante Abweichung
leicht in der Statistik untergehen. Weniger Tests, dafür ME-spezifischere Tests
und viel mehr Probanden – so käme man auch zu belastbaren Resultaten!
Ein weiterer Knackpunkt der geplanten
Studie ist das Vorhaben, die Stresshormone der Probanden unter Bedingungen zu
testen, die für ME-Patienten puren Stress bedeuten, nämlich während eines
Klinikaufenthaltes. Für gewöhnlich leiden ME-Patienten unter Hypocortisolismus,
doch in Stresssituationen erleben sie häufig einen sogenannten Adrenalinrausch,
der sie befähigt, diese Situationen überhaupt durchzustehen. Mit dem Adrenalin
steigt dann der Cortisolspiegel signifikant an, was dazu führen könnte, dass
man den Patienten fälschlich Hypercortisolismus attestiert. Hypercortisolismus
wird jedoch in aller Regel bei Depressiven festgestellt. Hypocortisolismus ist somit
einer der biologischen Marker, die ME-Kranke von Depressiven zu unterscheiden vermögen,
doch unter den gegebenen Umständen besteht die Gefahr, dass dieser Unterschied
aufgehoben werden könnte.
Stresshormonforschung ist auch ein
Spezialgebiet von Urs Nater und Christine Heim. Die beiden in
Deutschland forschenden und lehrenden Psychologen basteln schon lange (noch seinerzeit
gemeinsam mit William Reeves!) mittels
biologischer Stresshormonparameter an der psychogenen Verursachungshypothese. Sie
wollen für Menschen, die retrospektiv berichteten, Stress und Traumata in der
Kindheit ausgesetzt gewesen zu sein, ein vielfach erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines "Chronic Fatigue Syndroms" ausgemacht haben. Sie stellen eine Verbindung zwischen neuroendokriner Dysfunktion bei „CFS" und der jener her, die von Missbrauch und Misshandlung in der Kindheit berichteten. (Siehe dazu auch meinen Blog und mein Buch.)
In Anbetracht der vorgefassten Meinungen
einiger in die NIH-Studie
Involvierter wie z.B. Brian Walitt, Fred Gill und Leorey Saligan, die gleichen oder ähnlichen Verursachungshypothesen
wie Nater und Heim anhängen, muss man befürchten, dass die Ergebnisse dieser
Studie in einer Weise interpretiert werden könnten, die der organischen
Krankheit und ihren Opfern in keiner Hinsicht gerecht werden wird.
So wirkt die Einbeziehung von Forschern,
die ME nicht für eine organische Krankheit halten, in eine Studie, die die
biologischen Grundlagen dieser Krankheit zu erkunden vorgibt, nur auf den
ersten Blick absurd. Bei genauerem Hinsehen könnte man zu dem Schluss kommen,
dass hier – wie bei Nater und Heim – versucht werden soll, psychogene
Verursachungshypothesen mit biologischen Markern zu untermauern. In diesem Fall
würde sich die Anwort des eingangs erwähnten pensionierten NIH-Wissenschaftlers aufs bitterste bewahrheiten und es wäre das
Schlimmste, was den ME-Kranken passieren könnte!
Update vom 30.09.2017: Zwei Folien von Avindra Naths Präsentation auf der CMRC-Konferenz bringen die Haltung und die vorgefassten Meinungen der NIH-Studiengruppe auf den Punkt. Sie bezeichnen sich selbst als "Team Tired" und sie interessieren sich hauptsächlich für "FATIGUE", weshalb dieses Wort in Großbuchstaben und fast doppelt so groß wie "chronic" und "syndrome" geschrieben ist. Unverblümt demonstrieren sie auf diese Weise, dass sie den ME-Patienten keinen Respekt zollen und die Krankheit nicht ernst nehmen.
Update vom 30.09.2017: Zwei Folien von Avindra Naths Präsentation auf der CMRC-Konferenz bringen die Haltung und die vorgefassten Meinungen der NIH-Studiengruppe auf den Punkt. Sie bezeichnen sich selbst als "Team Tired" und sie interessieren sich hauptsächlich für "FATIGUE", weshalb dieses Wort in Großbuchstaben und fast doppelt so groß wie "chronic" und "syndrome" geschrieben ist. Unverblümt demonstrieren sie auf diese Weise, dass sie den ME-Patienten keinen Respekt zollen und die Krankheit nicht ernst nehmen.
*Hillary Johnson A
Disease Able to Affect The Economies of Nations, Vorwort in: Kent Heckenlively; Judy Mikovits Plague:
One Scientist's Intrepid Search for the Truth about Human Retroviruses and
Chronic Fatigue Syndrome, Autism, and Other Diseases, S.
xxi, Skyhorse Publishing 2014.
**Siehe Transkript von Patricia Carter, M.E.
Research & News Facebook Group, https://www.facebook.com/ResearchHere1st/posts/1678662012410147
(Abruf 19.03.2016)
***Am 1. April bekam ich Antwort von der NIH auf meine Frage, welche Behandlung die genesenen Lyme-Patienten der Kontrollgruppe durchlaufen haben müssen. Sie müssen, so wurde mir mitgeteilt, eine "anerkannte Antibiotika-Behandlung für die Lyme-Borreliose mindestens 6 Monate vor der Aufnahme, aber weniger als 5 Jahre vor der Aufnahme" erhalten haben und dürfen "keine dokumentierten Symptome der Lyme-Borreliose 6 Monate nach der Behandlung" mehr haben. (Ü.d.A.) Als anerkannte Behandlung für eine frühe Lyme-Borreliose gilt in den USA eine zweiwöchige Antibiotika-Behandlung, bei komplizierteren Fällen eine drei- bis vierwöchige AB-Behandlung. (Hier nachzulesen, hier und hier. Die gleichen Empfehlungen gelten für Deutschland.)
Aus der Antwort der NIH kann man schließen, dass offenbar keine Patienten, die an einer chronischen Lyme-Borreliose litten, sondern nur ehemalige Lyme-Patienten, die frühzeitig nach einem Zeckenbiss mit Antibiotika behandelt worden sind, an der Studie teilnehmen sollen. Laut NIH will man die Lyme-Kontrollgruppe installieren, weil es sinnvoll sei, Patienten mit post-infektiöser "ME/CFS" mit "einer Kohorte, die auch eine Infektion hatte, aber dann vollständig gesundete", zu vergleichen. (Ü.d.A.)
Doch dann stellt sich umso dringlicher die Frage, warum man nicht z.B. Grippepatienten als Vergleichskontrollen einsetzt, sondern auf einer Patientenkohorte besteht, bei der ein verlässlicher Erregernachweis so schwer zu führen ist. Selbst wenn bei diesen Patienten - nach den streng wissenschaftlichen Kriterien - der kulturelle Nachweis von Borrelien mit Erregeridentifikation durch PCR geführt worden sein sollte, fragt man sich ganz grundsätzlich, warum man nicht Patienten als Kontrollgruppe nimmt, die nach erfolgreicher Behandlung von einer chronischen Infektion genasen. Denn da "ME/CFS" eine chronische Krankheit ist, kann es doch eigentlich nur sinnvoll sein, sie mit Patienten einer anderen chronischen Krankheit zu vergleichen und nicht mit Patienten, die eine akute Infektion mittels medikamentöser Therapie überwunden haben.
****Die NIH hatten kurzzeitig den Link zu der Studie gelöscht. Deshalb musste ich für meine Quellenangaben die wayback machine bemühen. Inzwischen ist der Link wieder abrufbar. (http://mecfs.ctss.nih.gov/) Meinen Erkenntnissen nach wurde die Seite jedoch nicht überarbeitet. Es fragt sich also, warum der Link von den NIH vorübergehend gelöscht wurde. Hoffte man, die Patienten würden das nicht bemerken? Wollte man Änderungen am Studiendesign vornehmen, konnte sich aber dann doch nicht dazu entschließen?
***Am 1. April bekam ich Antwort von der NIH auf meine Frage, welche Behandlung die genesenen Lyme-Patienten der Kontrollgruppe durchlaufen haben müssen. Sie müssen, so wurde mir mitgeteilt, eine "anerkannte Antibiotika-Behandlung für die Lyme-Borreliose mindestens 6 Monate vor der Aufnahme, aber weniger als 5 Jahre vor der Aufnahme" erhalten haben und dürfen "keine dokumentierten Symptome der Lyme-Borreliose 6 Monate nach der Behandlung" mehr haben. (Ü.d.A.) Als anerkannte Behandlung für eine frühe Lyme-Borreliose gilt in den USA eine zweiwöchige Antibiotika-Behandlung, bei komplizierteren Fällen eine drei- bis vierwöchige AB-Behandlung. (Hier nachzulesen, hier und hier. Die gleichen Empfehlungen gelten für Deutschland.)
Aus der Antwort der NIH kann man schließen, dass offenbar keine Patienten, die an einer chronischen Lyme-Borreliose litten, sondern nur ehemalige Lyme-Patienten, die frühzeitig nach einem Zeckenbiss mit Antibiotika behandelt worden sind, an der Studie teilnehmen sollen. Laut NIH will man die Lyme-Kontrollgruppe installieren, weil es sinnvoll sei, Patienten mit post-infektiöser "ME/CFS" mit "einer Kohorte, die auch eine Infektion hatte, aber dann vollständig gesundete", zu vergleichen. (Ü.d.A.)
Doch dann stellt sich umso dringlicher die Frage, warum man nicht z.B. Grippepatienten als Vergleichskontrollen einsetzt, sondern auf einer Patientenkohorte besteht, bei der ein verlässlicher Erregernachweis so schwer zu führen ist. Selbst wenn bei diesen Patienten - nach den streng wissenschaftlichen Kriterien - der kulturelle Nachweis von Borrelien mit Erregeridentifikation durch PCR geführt worden sein sollte, fragt man sich ganz grundsätzlich, warum man nicht Patienten als Kontrollgruppe nimmt, die nach erfolgreicher Behandlung von einer chronischen Infektion genasen. Denn da "ME/CFS" eine chronische Krankheit ist, kann es doch eigentlich nur sinnvoll sein, sie mit Patienten einer anderen chronischen Krankheit zu vergleichen und nicht mit Patienten, die eine akute Infektion mittels medikamentöser Therapie überwunden haben.
****Die NIH hatten kurzzeitig den Link zu der Studie gelöscht. Deshalb musste ich für meine Quellenangaben die wayback machine bemühen. Inzwischen ist der Link wieder abrufbar. (http://mecfs.ctss.nih.gov/) Meinen Erkenntnissen nach wurde die Seite jedoch nicht überarbeitet. Es fragt sich also, warum der Link von den NIH vorübergehend gelöscht wurde. Hoffte man, die Patienten würden das nicht bemerken? Wollte man Änderungen am Studiendesign vornehmen, konnte sich aber dann doch nicht dazu entschließen?
Bildnachweise:
Felix Nussbaum, Mascarade, www.commons.wikimedia.org
Felix Nussbaum, Puppets, www.commons.wikimedia.org
Felix Nussbaum, Self-Portrait with Crazy Laugh, www.commons.wikimedia.org
Felix Nussbaum, The Storm (The Exiles), www.commons.wikimedia.org
Rembrandt van Rijn, Die Anatomie des Dr. Tulp, www.commons.wikimedia.org
Videos:
Trailer: M.E. The Hidden Truth
MIND THE ABYSS: Part 1 - "PRODROME" (Myalgic
Encephalomyelitis - M.E.)
The Invisible Ones - On Severe ME/CFS
Katharina Voss, Copyright 2016