Achtung: Dieser Blogpost enthält satirische Elemente!
Erika beim Tanz um den Baum? --- Nee, nur ein skandinavischer Weihnachtsbrauch.
Ja, ist denn schon Weihnachten? – Nein, aber die frischgekürte DEGAM-Präsidentin Prof. Dr. med. Erika Baum hat uns ganz unverhofft ein Geschenk unter den noch nicht vorhandenen Christbaum gelegt. In einer Email versicherte sie, es werde „in der nächsten Zeit keine Leitlinien zu CFS/ME oder verwandten Entitäten geben.“ Es sei auch weder Aufgabe der DEGAM noch „leistbar, so etwas zu relativ seltenen Erkrankungen zu erarbeiten“. Unsereiner solle sich daher mit unserem „Anliegen an eine Fachgesellschaft mit begrenztem Krankheitsspektrum“ wenden.
Doch schon im nächsten Moment kamen wir ins Grübeln. Wenn es nämlich die DEGAM überfordert, eine Leitlinie zu dieser „relativ seltenen Erkrankung zu erarbeiten“, wie die Frau Präsidentin schreibt, warum hat man sich dann bei Abfassung der letzten Leitlinie überhaupt mit dem Krankheitsbild „CFS/ME“ herumgeplagt? Oder haben wir da vielleicht irgendetwas falsch verstanden? Spricht man bei der DEGAM von „CFS/ME“, meint aber gar nicht „CFS“ bzw. ME, sondern vielleicht nur die „chronic Fatigue“, wie sie beispielsweise bei Depressiven als Begleiterscheinung auftreten kann? Galt die letzte Leitlinie also gar nicht für ME- bzw. „CFS“-Patienten?
Nun, wir können beim besten Willen nichts anderes aus den Zeilen von Frau Prof. Baum schließen und wir werden umgehend unseren Hausarzt davon in Kenntnis setzen. Wir werden ihn darüber informieren, dass die in der letzten Leitlinie Müdigkeit empfohlenen Behandlungsmaßnahmen wie Aktivierungstherapie und Kognitive Verhaltenstherapie gar nicht für uns galten und auch fürderhin nicht gelten werden.
Wir werden ihn auch darüber unterrichten, dass die DEGAM-Präsidentin ME bzw. „CFS“ für eine „relativ seltene Erkrankung“ hält. Wir werden uns – wie von Prof. Baum vorgeschlagen – an eine „Fachgesellschaft mit begrenztem Krankheitspektrum" wenden. Da die „Allgemeinmedizin für alle Patientengruppen zuständig ist“, aber nur nicht für die Patienten mit ME bzw.“CFS“, und zwar deshalb, weil wir anscheinend „sehr spezielle Wünsche“ haben, wie die Frau Professor schreibt, müssen wir schauen, ob wir nicht woanders Unterschlupf finden können.
Erika erteilt Hausverbot? --- Nee, nur die Vertreibung aus dem Paradies durch einen Engel.
Aber ach, an wen sollen wir uns denn da bloß wenden? An die Deutsche Gesellschaft für Handchirugie? Oder doch besser an die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie? Ha, wir sind ja schlau und deshalb wissen wir natürlich, dass wir am besten bei der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie aufgehoben wären. Aber wir ahnen schon, dass die uns gar nicht haben wollen. Deshalb brauchen wir uns auch gar nicht erst an die zu wenden.
Machen wir uns nichts vor: Wir sind ziemlich unbeliebt. Überall fliegen wir raus. Auch beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sind wir rausgeflogen. Auf deren Seite gesundheitsinformation.de hat man alle Infos zu unserer Krankheit gelöscht, weil „der Text kaum wahrgenommen wurde.“ Bisher dachten wir zwar immer, wir würden nicht genug wahrgenommen, aber da sieht man mal, wie man sich irren kann. Ist doch klar, dass die vom IQWiG eingeschnappt sind, weil wir sie nicht oft genug angeklickt haben. Geschieht uns nur recht, dass wir nicht mehr mitspielen dürfen, wenn unsereins zu faul ist, sich Infos über die eigene Krankheit zu beschaffen!
Jetzt haben wir fast den Faden verloren vor lauter Kummer über unsere Unbeliebtheit! Also zurück zu der Email von der Frau Präsidentin.
Weil wir, wie gesagt, nicht auf den Kopf gefallen sind, fragen wir uns auch, was eigentlich eine „relativ seltene Erkrankung“ ist. Wir kennen nur seltene Krankheiten und nicht seltene Krankheiten. Die Kategorie „relativ seltene Krankheiten“ kannten wir bislang nicht. Aber wir sind ja auch nur medizinische Laien. Doch wir machen immer fleißig unsere Hausaufgaben. Darum wissen wir, was die DEGAM-Autoren dazu in der alten Leitlinie Müdigkeit geschrieben haben. Da steht, dass „CFS“ nur selten vorkommt, „ein seltenes Beratungsergebnis“ ist und „die Erkrankung in Deutschland kaum eine Rolle spielt“. Die sind einfach so gescheit, die Leute von der DEGAM, die wissen das aus dem Bauch heraus, ohne sich jemals die Mühe gemacht haben zu müssen, eine Untersuchung darüber anzustellen. Und dann sind sie noch so offen zuzugeben, dass es auch an „diagnostischen Gewohnheiten“ liegen könnte, weil „diese Patienten hier z.B. als ‚depressiv‘ oder ‚neurasthenisch‘ diagnostiziert werden“. Grundehrlich die Jungs und Mädels von der DEGAM-Truppe, chapeau!
Die DEGAM bei der Arbeit? --- Nee, nur Christopher G. Brown's Teletubbies Joy Division Edit
Daran wollen wir uns jetzt mal ein Beispiel nehmen und auch ganz offen und ehrlich sein: Wir geben zu, dass wir in der Tat „sehr spezielle Wünsche“ haben! Wir sind so frei und gestehen, dass wir nach mehr als 30 Jahren Ausgrenzung und medizinischer Vernachlässigung ganz gerne mal eine effektive Behandlung hätten und auch sehr gerne wüssten, warum wir so krank sind. Wir erlauben uns, vorlaut wie wir nun mal sind, von den Vertretern unseres Gesundheitssystems die Antwort auf unsere Frage einzufordern, wie es mit unseren schwer und schwerst erkrankten Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Zukunft weitergehen soll. Werden sie überhaupt eine Zukunft haben? Oder werden sie weitere Jahre und Jahrzehnte in abgedunkelten Zimmern vor sich hinvegetieren müssen bei einer Lebensqualität, die der von einem AIDS- oder Krebskranken im Endstadium gleicht, unmittelbar vor Einsetzen des Sterbeprozesses?
Atmen, Nahrung aufnehmen, verdauen – so sieht ihr „Leben“ aus, ein Leben unter Schmerzen und unzähligen, nur schwer ertragbaren Symptomen. Vielleicht werden sie auch in ihren frühen Dreißigern sterben wie so viele ME-Patienten, die schon im Kindesalter oder als Jugendliche erkrankten, – sterben nach einem schier endlos langen, furchtbaren Leiden und bevor ihr Leben überhaupt begonnen hat.
Oops – jetzt wären wir beinahe ins ernste Fach gewechselt! Das wollten wir uns eigentlich verkneifen; wir wollen ja immer hübsch pflegeleicht bleiben, damit die DEGAM-Leute uns auch noch weiterhin liebhaben, jedenfalls so lieb wie bisher.
Deshalb geben wir besser zu, dass es angesichts des Leidens von ca. 900 – 6.900 schwerst und extrem schwer Erkrankten (1), 9.000 – 86.000 Schwererkrankten (2), die ebenfalls ans Haus und auch überwiegend ans Bett gefesselt sind, und etwa 100.000 moderat Erkrankten, die zwar noch hin und wieder das Haus verlassen können, aber krankheitsbedingt weder arbeitsfähig noch in der Lage sind, ihre Sozialkontakte in einem Maße zu pflegen, wie es das Teilhabegesetz auch für Schwerbehinderte vorsieht, ganz schön unverschämt von uns ist, die DEGAM mit unseren „spezielle(n) Wünsche(n)“ zu belasten.
Das wollen wir echt nicht. Was sind wir aber auch für stumpfe Trottel, dass wir es wagen, an die Verantwortung der DEGAM-Autoren zu appellieren! Dabei haben sie sich doch beim letzten Mal solche Mühe gegeben, den Patienten schädliche Behandlungsempfehlungen zu geben und den Stand der Wissenschaft geflissentlich zu ignorieren! Wie bösartig schon damals von uns, die DEGAM mit „gleichlautend(en)“ Kommentaren, die „offenbar zentral gesteuert waren“, zu piesacken!
Ja, hätten die schwerkranken Menschen mit ihren stark behindernden kognitiven Dysfunktionen, ihren schweren Konzentrationsstörungen, den Einschränkungen ihres Kurzzeitgedächtnisses, ihren Informationsverarbeitungs- und Wortfindungsschwierigkeiten, mit ihrem verlangsamten Denken und ihren vom Brainfog vernebelten Gehirnen nicht gefälligst selbst was Gescheites formulieren können? Hätten diese Menschen, von denen nicht wenige kaum Kraft zum Tippen haben bzw. viele das Briefeschreiben mit einer schweren Zustandsverschlechterung bezahlen müssen, sich nicht mal ein kleines bisschen zusammenreißen können, um was zu Papier zu bringen? Damit die sensiblen DEGAM-Autoren sich von den frechen Patienten nicht so verladen fühlen müssen?
Weil wir der DEGAM nun nicht weiter zu schaffen machen wollen, wenden wir uns besser gleich an unseren Bundesgesundheitsminister und fragen mal nach, wie er sich das mit uns denn weiterhin vorstellt. Das passt auch deshalb gut, weil wir es ja „unterlassen“ sollen, so die DEGAM-Präsidentin zur Mutter zweier sehr schwer betroffener Töchter, ihre „Leitliniengeschäftsstelle oder Leitliniengruppe“ mit „weitere(n) Korrespondenzen“ zu behelligen. Dann sollten wir wohl besser mal anderen mit unserem Gemecker auf die Nerven gehen. (À propos Korrespondenzen: Hier können Sie die Emails an Frau Prof. Dr. med. Baum und an Frau Dr. med. Barzel nachlesen. Eine Antwort auf den offenen Brief an die DEGAM bzw. deren Präsidentin gab es bislang nicht.)
Ein ME-Patient auf der Suche nach einer Fachgesellschaft? --- Nee, nur ein armer, kranker, heimatloser Hausierer, der nirgendwo dazugehört.
Aber nicht nur unsereins hat die DEGAM aus ihrem wissenschaftlichen Dämmerschlaf, herbeigeführt durch einseitige Lektüre von Wessely School-Arbeiten, gerissen. Auch andere haben Kontakt mit ihr aufgenommen und Antwort erhalten. Als wir aus dem Munde dieser Patienten etwas ganz anderes erfuhren, nämlich dass die DEGAM just das Kapitel zum „Chronischen Müdigkeitssyndrom“ überarbeitet habe, fielen wir aus allen Wolken!
Seitdem sind wir in dumpfes Brüten versunken. Die Präsidentin der DEGAM wird uns doch wohl nicht angeschwindelt haben? Oder gar die anderen Patienten? Nein, so wird man bei der DEGAM doch nicht mit kranken Menschen oder Angehörigen von Schwersterkrankten umspringen! Nie und nimmer – allein bei dem Gedanken daran ist uns schon schwummerig zumute.
Deshalb halten wir uns einstweilen lieber an die Worte der Präsidentin, die uns mitgeteilt hat, dass es „in der nächsten Zeit keine Leitlinien zu CFS/ME oder verwandten Entitäten geben“ werde und es auch nicht als ihre Aufgabe ansieht, „so etwas zu relativ seltenen Erkrankungen zu erarbeiten“. Wir werden also unseren Hausarzt und unsere sonstigen Behandler schnellstmöglich darüber informieren, dass die alten Behandlungsempfehlungen ab sofort nicht mehr gelten.
Zum guten Schluss wollten wir uns eigentlich, comme il faut (ja, ja, wir sprechen sogar ein bisschen französisch!), ganz artig bei der Frau Präsidentin für dieses vorzeitige und unverhoffte Weihnachtsgeschenk bedanken. Auch und ganz besonders im Namen der vielen, vielen Patienten, die – seltsam aber auch! – wie „zentral gesteuert“ alle dasselbe wollen, nämlich dass das unselige Kapitel über ME und „CFS“ ersatzlos aus der Leitlinie gestrichen wird. Denn die Zeiten, wo wissenschaftlich obsolete und schlampig recherchierte Leitlinien, auf deren Grundlage Hunderte, wenn nicht Tausende in Deutschland zu Krüppeln therapiert wurden, den Krankheitsverlauf von wehrlosen Patienten bestimmen, werden nun spätestens im Jahr 2017 ein Ende haben – so hatten wir wenigstens gehofft!
Doch beim Auspacken des Geschenks mussten wir eine grässliche Entdeckung machen: Das Geschenk entpuppte sich als faules Ei! Denn man plant – soweit wir das mit unserem begrenzten Sachverstand begreifen können – für die überarbeitete Leitlinie eine „neue vorgeschlagene Definition an Stelle des chronischen Müdigkeitssyndroms“. Au weia – da schwant uns nichts Gutes! Wir denken da z.B. an … – oh nein, uns wird übel! Wir müssen uns jetzt leider ganz schnell verabschieden …
Fußnoten:
1) 1-2% laut Findley-Grad-Skala (Prof. Leslie J. Findley et al., National ME Centre Romford, Essex) Quelle: Valentine M, Leger ME Chairman „ME/CFS in 2006.“
2) Der CMO-Report (CMO = Chief Medical Officer des Britischen Gesundheitsministeriums) aus dem Jahr 2002 („A Report of the CFS/ME Working Group - Report to the Chief Medical Officer of an Independent Working Group“) schätzt den Anteil der Schwerkranken auf 25%, s. S. 14.
Bildnachweise:
Viggo Johansen, Frohe Weihnachten, www.commons.wikimedia.org
Hieronymus Bosch, Der Heuwagen (Detail), www.commons.wikimedia.org
Hieronymus Bosch, Der Hausierer, www.commons.wikimedia.org
Katharina Voss, Copyright 2016