Donnerstag, 6. April 2017

Forschung um den heißen Brei

(Mein Leserbrief zu diesem Artikel von Amy Maxmen auf Spektrum.de: "Der Biologie des Chronischen Erschöpfungssyndroms auf der Spur", 3.04.2017. Originalartikel erschienen in Nature, 28.03.17.)

Es ist erfreulich, wenn wenigstens in einigen Ländern der Welt Forschungsanstrengungen unternommen werden, um die Krankheitsmechanismen des Chronic Fatigue Syndroms, besser gesagt der Myalgischen Enzephalomyelitis, zu entschlüsseln. Man sollte dabei aber nicht vergessen zu erwähnen, dass Ron Davis` Forschung von den Patienten und ihren Angehörigen finanziert wird, nicht aber, wie man es erwarten können sollte, von den NIH.





Bedauerlich ist allerdings, dass nun seit Jahren um den heißen Brei herum geforscht wird. Leider beschäftigen Forscher wie Davis sich nicht mit der Historie der Krankheit. Deshalb entgeht ihnen auch ihr infektiöser Charakter, der durch die zahlreichen dokumentierten Epidemien und Cluster beglaubigt wird. Derzeit wird ausschließlich an den molekularen und metabolischen Anomalien herumgepuzzelt, in der Überzeugung, hier die Ursache für die Krankheit finden zu können. Aber angesichts der horizontalen Übertragbarkeit und des komplexen Krankheitsbildes ist es viel plausibler, die metabolischen Anomalien als eine der Folgen eines infektiösen Geschehens zu betrachten.

Doch es hat offenbar auch durchaus positive Aspekte, so ins Blaue hineinzuforschen, wie Ron Davis es tut. Denn dabei ist er auf eine interessante Entdeckung gestoßen: Wenn das Blutserum von Gesunden auf die Zellen von Erkrankten trifft, sehen die Zellen plötzlich gesund aus. Wenn aber das Serum Erkrankter zu gesunden Zellen gegeben wird, dann zeigen diese die gleichen krankhaften Veränderungen wie die Zellen von „CFS“-Patienten. [1] Diese Versuche weisen auf einen symptomauslösenden, krankmachenden Stoff (oder ein Pathogen?) im Serum der Erkrankten hin.

Nun erhebt sich mit Fug und Recht die Frage, was das für die Blutbanken heißen könnte, sollte sich Davis` Entdeckung durch weitere Untersuchungen bestätigen lassen. Bereits 1999 wurden auf einer Konferenz in Syndney nachdenklich stimmende Daten einer Klinik der Vrije Universiteit Brussel vorgestellt. [2] Bei 34 (4,5%) von 752 ME/"CFS"-Patienten brach wenige Tage bis zu einer Woche nach einer Bluttransfusion eine grippeähnliche Erkrankung aus, die den Beginn ihrer ME/"CFS"-Erkrankung markierte. Die temporäre Verknüpfung der Krankheit mit einer Bluttransfusion spricht für die Übertragung eines pathogenen Erregers via Blutkonserve.

Obwohl Ron Davis also ein entschiedener Gegner der Infektionshypothese ist, [3] die ME/"CFS" als infektiöse, übertragbare Krankheit beschreibt und latente und reaktivierte bzw. persistierende niedriggradige Infektionen für das chronische Krankheitsgeschehen verantwortlich macht, scheint seine Forschung nunmehr indirekt diese Hypothese zu bestätigen. Womöglich ist ihm noch gar nicht bewusst, auf welchem Glatteis er sich bewegt.

Denn die Infektionshypothese hat schon einige Wissenschaftler aus der Kurve getragen, weil Forschung in dieser Richtung spätestens seit der Lake Tahoe-Epidemie von 1984 politisch unerwünscht ist. Jüngstes Opfer dieser Politik ist Judy Mikovits, leitende Autorin der XMRV-Studie von 2009. Sie und ihre Mitautoren hatten im Blut von 67% ihrer ME-kranken Probanden ein Retrovirus gefunden, das sie als XMRV bezeichneten. Sie gingen damals davon aus, dass es weitgehend identisch mit dem von Robert Silverman und Joseph De Risi „entdeckten“ XMRV sei, die es 2006 – fälschlich – mit der Entstehung von Prostatakrebs in Zusammenhang gebracht hatten. Tatsächlich aber hatte Mikovits nicht das von Silverman und De Risi als XMRV bezeichnete Retrovirus gefunden, sondern Sequenzen eines Humanen Gammaretrovirus, das dem Silverman-XMRV nur ähnlich ist. [4]

Das Silverman-XMRV stellte sich später als Artefakt, als künstlich im Labor erzeugtes Virus heraus. Als Silverman, Coautor der XMRV-Studie von 2009, Mikovits` Patientenproben sequenzierte, wurden sie mit seinem XMRV-VP62-Plasmid, das als Kontrollstandard eingesetzt wurde, kontaminiert. So wurde ein Teil der Studienergebnisse verfälscht, nämlich Silvermans Beitrag zur Studie. Das führte jedoch dazu, dass die gesamte Studie 2011 von Science widerrufen wurde und Mikovits` wissenschaftliche Karriere ruiniert wurde.

Auch der hier im Artikel erwähnte Ian Lipkin trug zur Demontage von Judy Mikovits` Forschung bei. Denn seine Multi-Center-Studie, die ein für alle Mal abklären sollte, ob es eine Verbindung von XMRV und/oder pMLV (polytropic murine leukemia virus) mit ME/“CFS“ gibt, hatte nur das bestätigt, was längst bekannt war: dass es sich bei dem Silverman-XMRV um eine Laborkontamination handelt, und dass dieses Virus in der Tat nicht im Blut von Menschen zu finden ist. Lipkin hatte nämlich nur nach einem gattungsmäßigen pMLV und dem XMRV VP62, der Kontamination aus Robert Silvermans Labor, gesucht, also quasi unter der Laterne. [5]

Dabei hatte Lipkin 2013 selbst von Hinweisen auf Retroviren berichtet, die er bei 85% seiner Untersuchungsproben von einer ME-Patientenkohorte gefunden hatte. [6] Für seinen Einsatz beim Zu-Grabe-tragen der XMRV-Forschung wurde er jedoch 2014 von den NIH mit einem Zuschuss von 31 Millionen Dollar „belohnt“.

Von den NIH darf man sich also nichts erwarten. So beginnt auch die neu gestartete NIH-Studie – eine, wie Studienleiter Avindra Nath hier im Artikel zitiert wird, „Hypothesen bildende Untersuchung“ – ihrem Studiendesign und der fragwürdigen Patientenauswahl nach zu urteilen im Niemandsland und wird mutmaßlich auch da enden. (Eine ausführliche Analyse zu der Studie ist auf meinem Blog zu lesen.) [7]

Man darf aber äußerst gespannt sein, in welche Richtung sich Ron Davis` weitere Forschung enwickelt. Mut macht jedenfalls sein Sinneswandel in Bezug auf Behandlungsoptionen. Hatte er vor nicht allzu langer Zeit noch hauptsächlich Nahrungsergänzungsmittel als Therapeutika in Erwägung gezogen, spricht er inzwischen davon, dass ein Nährstoffcocktail wohl keine kurativen Effekte haben wird (was auch den Patientenerfahrungen entspricht), sondern ein richtiges Arzneimittel, womöglich eines, das man nicht als Option auf dem Schirm hat.

Und forscht er wirklich, wie behauptet, ohne Hypothese und ergebnisoffen, wird er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einige seiner derzeitigen Mutmaßungen bezüglich der Krankheit über Bord werfen müssen und etliche – für ihn und viele andere – neue Erkenntnisse dazugewinnen. Denn das Wissen um die Myalgische Enzephalomyelitis ist nicht ganz so bescheiden, wie es gern, auch von Davis, immer wieder dargestellt wird. Schon bei den frühen Epidemien wurden Übertragungswege, Pathomechanismen und Krankheitsbild sorgfältig dokumentiert. Man muss die alten Forschungsarbeiten nur lesen …


(Kleiner Nachtrag: Auch in der gerade erschienenen Studie von Hornig, Peterson, Lipkin et al. ist ein Patient dabei, der nach einer Bluttransfusion an "ME/CFS" erkrankte.)

1 http://www.meaction.net/wp-content/uploads/2015/05/Ron-Davis-Transcript.pdf

2 https://web.archive.org/web/20140213014427/http://www.mecfs-vic.org.au/sites/www.mecfs-vic.org.au/files/Article-1999deMeirleir-Blood.pdf https://web.archive.org/web/20160309042951/http://sdnl.nl/syndrome.htm#Blood3

3 http://www.openmedicinefoundation.org/2016/08/30/mecfs-ground-breaking-metabolomics-results-by-ronald-w-davis-phd/

4 Heckenlively, Kent; Mikovits, Judy Plague: One Scientist's Intrepid Search for the Truth about Human Retroviruses and Chronic Fatigue Syndrome, Autism, and Other Diseases, Skyhorse Publishing 2014.

5 Lipkin, W. Ian et al. „A Multicenter Blinded Analysis Indicates No Association between Chronic Fatigue Syndrome/Myalgic Encephalomyelitis and either Xenotropic Murine Leukemia Virus-Related Virus or Polytropic Murine Leukemia Virus“, mBio. 2012,
http://mbio.asm.org/content/3/5/e00266-12.full

6 „We also found retroviruses in 85% of the sample pools.“ Ian Lipkin, zitiert in Fleming, Russel „Transcript: Ian Lipkin – CDC Telephone Broadcast Conference 10 September 2013“,
https://docs.google.com/file/d/0B-NT-7M70igudmZVSVJUTnZVclU/edit?pli=1

7 http://meversuscfs.blogspot.de/2016/03/they-hate-you.html

Katharina Voss, Copyright 2017