Donnerstag, 15. Oktober 2015

„Peer, du lügst!“


… so beginnt Henrik Ibsens dramatisches Gedicht Peer Gynt.

Diese Worte möchte man so manches Mal Per Fink, dem Klinikdirektor der Research Clinic for Functional Disorders and Psychosomatics in der Universitätsklinik Aarhus an den Kopf werfen. Zwar teilt der dänische Psychiater nicht die Schreibweise seines Vornamens mit der literarischen Titelfigur, jedoch deren ausgeprägten Hang, die Wirklichkeit und Wahrheit seinen Ideal- und Wunschvorstellungen zu opfern.

Trotz WHO-Einordnung der Myalgischen Enzephalomyelitis als eine eigenständige nosologische Entität unter den neurologischen Krankheiten leugnet Per Fink die eigenständige Krankheitsidentität von ME. Es gebe, so Fink, keine überzeugende Evidenz, dass „ME/CFS“ ein deutlich unterschiedenes „Syndrom“ sei, das von anderen ähnlichen Syndromen klar abgrenzbar sei. Die Patienten hätten vielfache Symptome und viele von ihnen würden somit die Kriterien mehrerer Syndrome erfüllen. Er sieht ME als eine Spektrumsstörung an. [Fink, Schröder, 2015]

Fink nimmt dabei jedoch weder die vorhandenen Krankheitsdefinitionen, wie z.B. die Kanadischen Konsenskriterien oder die Internationalen Konsenskriterien, zur Kenntnis, die neben Diagnostikempfehlungen auch das unverwechselbare Symptommuster beschreiben, noch die sich mehrenden Belege, dass ME inzwischen immunologisch, neurologisch und kardiovaskulär differentialdiagnostisch zu anderen Krankheiten abgrenzbar ist. Er ignoriert sogar die gesamte biomedizinische Forschung zu ME mit ihren über 6000 Publikationen, nimmt in seinen Studien keinerlei Bezug auf sie und tut einfach so, als sei sie schlichtweg nicht existent. Man fühlt sich dabei an das Guck-guck-Spiel von Kleinkindern erinnert, deren Objektpermanenz noch nicht voll ausgebildet ist, weshalb Objekte außerhalb ihres Blickfelds gewissermaßen nicht existieren. Doch für jemanden, der für sich in Anspruch nimmt, wissenschaftlich zu arbeiten, ist das ein geradezu ungeheuerlicher Vorgang. 



Darüber hinaus behauptet Per Fink, die finanzielle Förderung seiner Studien durch z.B. Versicherungskonzern, Pharmaunternehmen, dänisches Arbeits- oder Gesundheitsministerium nehme keinen Einfluss auf seine Studien. Dabei ist es für jedermann offensichtlich, dass hier ein erheblicher Interessenkonflikt vorliegt. Doch der wird vehement verleugnet. Erst wird sich artig für die Zuwendung bedankt und im nächsten Satz jegliche Abhängigkeit bestritten. Wäre Per Fink nicht dank üppiger finanzieller Förderung so wirkmächtig, dass er gesundheitspolitische Weichen zulasten kranker Menschen stellen darf, und hätte er sich nicht zum willfährigen Handlanger von Staat, Versicherung und Pharmakonzern gemacht, würde man diese armselige Erklärung einfach nur lächerlich finden – Kindergartenniveau! „Hast du von der Schokolade genascht?“ „Nö, das ist bloß braune Tusche!“

Erst kürzlich brachten Fink und Kollegen eine Studie heraus, finanziert vom zweitgrößten skandinavischen Versicherer Tryg und vom dänischen Arbeitsministerium, die es Patienten mit medizinisch unerklärten Symptomen (MUS), wozu Fink ganz selbstverständlich organische Krankheiten wie ME und Fibromyalgiesyndrom zählt, künftig schwerer machen wird, Rentenansprüche durchzusetzen. [Loengaard et al, 2015] Sie warnen davor, dass MUS-Patienten ein erhöhtes Risiko für Langzeitkrankschreibungen, Arbeitslosigkeit und Erwerbsunfähigkeitsrente haben, „obwohl Arbeitnehmern mit MUS eine medizinische Diagnose fehlt.“ (Ü.d.A.) Kranken- und Sozialversicherer werden ermuntert, Arbeitnehmer mit MUS über dieses erhöhte Risiko aufzuklären und sie in Präventions- oder Reintegrationsprogramme zu stecken.

„Obwohl Arbeitnehmern mit MUS eine medizinische Diagnose fehlt“ – hoppla! Was wird denn diesen Arbeitnehmern unterstellt? Etwa Simulantentum? Oder eine psychische Störung? Und wie soll die Aufklärung seitens der Versicherer aussehen? Etwa indem man den kranken Menschen mit der Kürzung von Bezügen droht, wenn sie nicht das Reintegrationsprogramm absolvieren können?

Hier wird wieder einmal ganz bewusst die Desinformation gestreut, medizinisch unerklärlichen Symptomen liege keine organische Krankheit zugrunde. Doch medizinisch unerklärte Symptome sind in aller Regel nur so lange medizinisch unerklärlich, wie nicht nach ihren Ursachen geforscht wird. Anstatt Arbeitnehmer mit multiplen Beschwerden gründlich zu untersuchen und angemessen zu behandeln, sollen sie von desinformierten Ärzten abgewimmelt und sowohl aus der medizinischen als auch aus der sozialen Versorgung herausgedrängt werden. 

Das hat Methode. Denn es ist billiger, kranke Menschen mit medizinisch unerklärten Symptomen als Simulanten, Faulpelze, Rentenbetrüger und Sozialschmarotzer zu diffamieren und in die Armut zu stürzen als Krankheiten zu erforschen, die möglicherweise menschengemacht sind und, wenn das als Tatsache bestätigt würde, Milliarden an Schadensersatzzahlungen, Forschungsgeldern und Behandlungskosten verschlingen würden.

So verwundert es nicht, dass Per Fink, Steigbügelhalter einer solchen Politik, für die nächste Version der WHO-Krankheitsklassifikationen emsig an einer Umdefinition von ME und anderen organischen Krankheiten mit angeblich medizinisch unerklärten Symptomen arbeitet. Er schlägt vor, all diese Krankheiten im ICD-11 zu subsumieren und als Bodily Distress Syndrome (BDS) beziehungsweise Bodily Distress Disorders (BDD) unter der Kategorie „Psychische und Verhaltensstörungen“ zu verankern. Seine „Forschung“ zum BDS und zu MUS lässt Fink sich u.a. vom zweitgrößten skandinavischen Versicherer Tryg und vom dänischen Pharmazieunternehmen Lundbeck sponsern. Kernprodukte von Lundbeck sind – Überraschung! – Antidepressiva. Cipralex/Lexapro von Lundbeck ist laut Jahresreport 2008 des Konzerns das meistverschriebene Antidepressivum in Europa und den USA und mehr als 160 Millionen Menschen weltweit sind bereits damit behandelt worden.




Allein in 2013 erhielten Fink et al. für ihre Forschung zu den sogenannten Funktionellen Somatischen Syndromen (ein Synonym für MUS), von der Lundbeck Foundation 11,5 Millionen DKK  (umgerechnet ca. 1,5 Millionen Euro). Von TrygFonden bekamen Fink et al. im Jahr 2011 allein 3.155.480 DKK (mehr als 400.000 Euro) und eine weitere Zuwendung von 700.000 DKK (fast 100.000. Euro). Im Jahr 2012 waren es 3.336.458 DKK (ca. 450.000 Euro) und noch einmal 357.000 DKK (fast 50.000 Euro). Im Jahr 2013 sponserte TrygFonden Per Finks Forschungsgruppe mit 2.400.000 DKK (mehr als 300.000 Euro) und noch einmal mit 968.544 DKK (ca.130.000 Euro). Für eine dänische Multicenterstudie mit 10.000 Patienten, die an sogenannten funktionellen Störungen leiden, spendiert der TrygFonden insgesamt 10 Millionen Dollar (fast 8 Millionen Euro). An dieser Studie ist wieder Per Fink maßgeblich beteiligt. Bereits 2008 investierte TrygFonden 20 Millionen DKK (annähernd 2,7 Millionen Euro) und 2010 nochmal 28 Millionen DKK (mehr als 3,7 Millionen Euro) in die Erforschung der funktionellen Syndrome, an der federführend Per Finks Research Clinic for Functional Disorders and Psychosomatics in Aarhus beteiligt ist. [Voss, 2015] Die Liste von Zuwendungen ließe sich fortsetzen; doch es dürfte bereits deutlich geworden sein, dass eine Forschung wie die Per Finks, die finanziell in so erheblichem Maße vom Sponsoring eines Versicherers und eines Psychopharmakaherstellers abhängig ist, nicht objektiv und neutral und frei von Interessenkonflikten sein kann.

Es liegt auf der Hand, dass so mächtige Sponsoren auf das Ergebnis der Forschungsarbeiten Einfluss nehmen, und wenn auch nur in der Weise, dass die Geldgeber sich jemanden wie Fink aussuchen, der ihnen die passenden Forschungsresultate für ihren ökonomischen Vorteil liefert. Und genau hier unterscheidet sich Per Fink abermals von Peer Gynt, dem Titelhelden des dramatischen Gedichts. Denn während Peer Gynt, neben Goethes Faust der zweite große Forscher der europäischen Dramatik, auf der Suche nach seinem Kern, seiner Bestimmung und dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, wie es Faust formuliert, bis zum Schluss ein Suchender bleibt, ist Per Fink ein Findender, bei dem das Ergebnis seiner Suche bereits im vorhinein feststeht.

Deshalb versinnbildlicht die Zwiebel, die Peer Gynt in der berühmtesten Szene der norwegischen Dichtung schält, wobei er zu der verzweifelten Erkenntnis gelangt, ebenso wie die Zwiebel aus lauter Hüllen zu bestehen und keinen Kern, kein Inneres, keine Substanz zu besitzen, auch Per Finks Forschung. Finks Forschung besteht nämlich, analysiert man sie genauer, nur aus lauter Hüllen, die verbergen sollen, dass sie keinen Kern, keine Substanz, keinen Wahrheitsgehalt besitzt.




Doch leider belässt es Per Fink nicht bei der Absonderung grauer Theorie, die für sich genommen schon zunehmend einschneidende Konsequenzen für chronisch kranke Menschen hat – und das nicht nur in Dänemark. Um zu „beweisen“, dass z.B. ME eine mentale Erkrankung und aus diesem Grund eine Umklassifizierung gerechtfertigt ist und psychiatrische Behandlungsrichtlinien für diese Krankheit angezeigt sind, schickt er seine Mitarbeiter auf Beutezug durchs Land, um die Wehrlosesten unter den ME-Patienten für seine psychiatrischen Experimente einzukassieren.

Prominentes Beispiel ist die junge, schwerkranke ME-Patientin Karina Hansen, die im November ihren dritten Geburtstag in Folge in psychiatrischer Gefangenschaft verbringen muss. Wie es dazu kam und wie sich Karinas Zustand in den letzten zweieinhalb Jahren unter dem psychiatrischen Behandlungsregime dramatisch verschlechtert hat, dazu mehr im nächsten Blogeintrag.

Quellen:

Per Fink, Andreas Schröder: Brief an den Herausgeber zum IOM-Report Redefining Myalgic Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome, JAMA, July 7, 2015, Volume 314, Number 1, S. 85

Katja Loengaard, Jakob Bue Bjorner, Per Klausen Fink, Hermann Burr and Reiner Rugulies: Medically unexplained symptoms and the risk of loss of labor market participation – prospective study in the Danish population, BMC Public Health 2015, 15:844 doi:10.1186/s12889-015-2177-4

Katharina Voss: ME – Myalgische Enzephalomyelitis vs. Chronic Fatigue Syndrom: Fakten Hintergründe Forschung, Monsenstein & Vannerdat 2015, S. 279, zit. n. „Lundbeck Foundation – 2013 Annual Report“ http://issuu.com/lundbeckfonden/docs/lf2013uk-report?e=2685121/7552383#search  (Abruf 16.01.15) und Trygfonden http://www.trygfonden.dk/  (Abruf 16.01.15)


Bildnachweise:

Georgios Jakobides Kou-Kouwww.commons.wikimedia.org
Quentin Massys, Der Geldwechsler und seine Frau, Detail, www.commons.wikimedia.org 
Giuseppe Arcimboldo, Der Gemüsehändler, www.commons.wikimedia.org

Katharina Voss, Copyright 2015